Bergsteigerhelden im Dienste Hitlers

Die Bezwinger der Eigernordwand mit dem Führer 1938. Von links: Andreas Heckmair, Heinrich Harrer, Hitler, Fritz Kasparek, Ludwig Vörg. Foto: Getty Images
Sportliche Erfolge sind gern verwendete Mittel staatlicher Propaganda. Dass sich Politiker im Licht ihrer Sportheroen sonnen, ist keine neumodische Erscheinung des Instagram- und Facebook-Zeitalters. Dies war bereits im Sommer 1938 der Fall, als ein Ereignis im Berner Oberland für einige Tage alles andere in den Schatten stellte: die Erstbesteigung der Eigernordwand.
«Mordwand» nannten sie damals diese 1650 Meter hohe Felslandschaft, nachdem sie in den Jahren zuvor Schauplatz manch eines Bergsteigerdramas geworden war. Vor allem Seilschaften aus Deutschland und Österreich versuchten sich immer wieder an der zur «letzten ungelösten Herausforderung der Alpen» hochstilisierten Wand.
Am 21. Juli 1938 ist die grosse Bühne abermals hergerichtet. Es herrscht prächtiges Sommerwetter auf der Kleinen Scheidegg, von wo aus man diese unvergleichlich unverstellten Blicke auf die Wand hat. Und von wo aus mit Fernrohen und Kameras bewaffnet die aufgeregte Medienmeute und das zahlkräftige Publikum bei Kaffee und Kuchen voyeuristisch der Dinge harren, die da kommen. Denn es sind zwei Zweierteams dabei, der Nordwand mit Pickel und Steigeisen zu Leibe zu rücken: die Bayern Anderl Heckmair und Ludwig Vörg sowie die Österreicher Heinrich Harrer und Fritz Kasparek.
Symbol für den Anschluss Österreichs
Die beiden Seilschaften starten vorerst getrennt. Erst einen Schneesturm und einen Lawinenabgang später tun sie sich zusammen und wagen das Abenteuer Eigernordwand-Besteigung gemeinsam. Dies ist mehr aus der Not geboren. Denn Heckmair und Vörg stören sich erstens an der schlechten Ausrüstung Harrers und Kaspareks. Zweitens passt es den beiden Bayern eigentlich nicht, die langsameren Kletterer Kasparek und vor allem Harrer auf den Gipfel zu lotsen.
Sie tun es aber doch. Unter der Führung des brillanten Heckmair trotzen sie Steinschlag und Lawinen und erreichen am 24. Juli den Gipfel. Harrer hisst die Hakenkreuz-Fahne. Kaum vom Berg heruntergeklettert, sind Heckmair, Vörg, Kasparek und Harrer Superstars. Sporthelden im Dienste Hitlers, der sie begeistert empfängt. Für die Nationalsozialisten gibt es kein schöneres Symbol für den im März 1938 erfolgten Anschluss Österreichs an Deutschland als die Vereinigung dieser zwei Seilschaften.
Die Nordwand sei unter dem «kühnen Angriff von vier deutschen Bergsteigern gefallen», heisst es in der Presse. «Sie kämpften nicht nur für persönlichen Ruhm, sondern für Ruhm und Geltung ihrer deutschen Heimat», schwadroniert der österreichische Reichstatthalter Arthur Seyss-Inquart. In einem Buch zur Erstbesteigung schreibt Harrer: «Wir haben die Nordwand durchklettert über den Gipfel hinaus bis zu unserem Führer.» Die Aussage erstaunt wenig, er war Mitglied von NSDAP und SS.
Der schwächste Kletterer erlangte am meisten Ruhm
Heckmair dagegen war sein Leben lang unpolitisch und liess sich ungern vor den Karren der braunen Propaganda spannen. Sie seien nicht mehr Herr ihrer eigenen Entschlüsse gewesen, sondern vereinnahmt worden, berichtet Heckmair. Bald nach Ende der Propagandatour galt er denn auch als politisch unzuverlässig und erhielt wie Vörg den Marschbefehl für die Ostfront. Vörg fiel 1941 am ersten Tag des Russlandfeldzugs. Heckmair leitete nach dem Krieg Bergexpeditionen in aller Welt und starb 2005.
Von den Bergen nie losgekommen ist auch das bekennende SS-Mitglied Kasparek; er kam 1954 in den Anden ums Leben. Harrer, der 2006 starb, floh während des Krieges aus britischer Gefangenschaft nach Tibet, wo er den jungen Dalai Lama unterrichtete. Seine SS-Mitgliedschaft wurde erst 1997 im Zuge der Filmpremiere «Sieben Jahre in Tibet» bekannt. Es ist eine Pointe der Geschichte, dass mit Harrer ausgerechnet der schwächste Kletterer der berühmteste der Sporthelden Hitlers wurde. Immerhin: Ihr Weg von damals heisst bis heute «Heckmair-Route». Gemeinsam geklettert sind die vier übrigens nie mehr.
16 Kommentare zu «Bergsteigerhelden im Dienste Hitlers»
Ist ja alles nicht weiter erstaunlich- und nicht mal verwerflich. Viele von uns (einschliesslich mir) wären – wäre ich damals in Deutschland aufgewachsen – vermutlich dem Zeitgeist gefolgt und in die NSDAP eingetreten. Wer kann von sich selbst schon sicher sagen, er wäre immun gewesen, hätte irgendwas vorausgesehen und hätte die richtige Entscheidung getroffen?
Dazu gibt es einen simplen Lakmustest. Wer heute Auto fährt, und dabei unsere Kinder vergiftet, der hätte wohl auch keine Hemmungen gehabt Juden zu vergiften.
Doch, verwerflich ist es schon, einer solchen Ideologie anzuhängen. Genau deshalb wird ja geschwiegen, geleugnet und beschönigt. Das war auch nicht bloss der „Zeitgeist“. Es ging um den eindeutigen Aufruf zu kriegerischer Aggression und zum Genozid, alles verpackt in eine volkstümelnde Mischung von Irrationalitäten, Mythen, Emotionen. Fakt ist: Es gab auch solche, die anders empfanden und anders dachten, denen mit der Machtergreifung 1933 (und dem „Anschluss“ 1938) eine unsägliche Katastrophe unaufhaltsam und absehbar erschien.
Dass Harrers NSDAP-und SS-Mitgliedschaft angeblich erst 1997 anlässlich der Produktion eines Hollywoodfilms bekannt wurde, halte ich für eine kühne Behauptung. Man war damals in Österreich ziemlich wahrscheinlich „in der Partei“, und das Regime war an sportlichen Leistungserbringern interessiert. 1938 war zwar für einige Wenige absehbar, aber dennoch nicht erwiesen, wohin die Gesinnung in ihrer Umsetzung tatsächlich führte. 1997 wurde enthüllt und gross herumposaunt, was viele längst wussten. Harrer hat einfach ein Riesenglück gehabt, die Kriegsjahre im Himalaya zu verbringen. So war er auch nicht gefordert, seine Ideen von damals besonders zu überdenken. Viele Zeitgenossen schweigen lieber davon, und beschönigen. Was sonst?
Um an einer deutschen Himalaja-Expedition vor 1939 teilzunehmen, wie dies Heinrich Harrer konnte, brauchte es den unbedingten Willen eines Bergsteigers sich den Nazis zu 100 % zur Verfügung zu stellen und aktiv an ihrer Propaganda teilzunehmen.
Konnte Harrer nach Indien reisen mit der damaligen Währung der Nazis, nämlich der Reichsmark. Nicht die Bohne! Niemand wollte außerhalb Deutschlands diese Währung mit Zwangskurs. Sie war ein No-Go im Welthandel, es zählte in erster Linie Dollar und Pfund. Und im damaligen Indien brauchte man Pfund und nicht Reichsmark. Devisen wurden von der Reichsbank nur mit guter Begründung zugesprochen, deshalb war Harrer ein guter Nazi, ob Opportunist oder Ideologe zählt da eigentlich nicht.
Klar war Harrer Nazi, sag ich doch. Was soll Ihr Votum als Antwort auf meines? Er war Nazi, auch ganz unabhängig davon, welche Währung man in Indien brauchte, und dies war im Jahre der grossen Enthüllung 1997 längst bekannt – bei denen, die so etwas überhaupt reflektieren. Man sollte dabei nicht vergessen, dass viele Nazi waren. Es war ein emotional sehr tiefgehendes Massenphänomen, leider. Später fand man Stones und Beatles toll, unverändert fremdbestimmt. (Bitte nicht gleich empören.) Der Endverbraucher ist seit Goebbels andauernd multimedialer Propaganda ausgesetzt. Ideologe oder Opportunist? Auch im neoliberalen Spätkapitalismus kann man sich fragen, wo man steht, oder ob man nur mitläuft. Harrer war dank Kletterei zumindest der normalen SS-„Tätigkeit“ enthoben. Gutes Karma.
Ich empfehle in diesem Zusammenhang die Lektüre des Buches „Der Alpinismus“ von Rainer Amstädter, vor allem die Kapitel 7-10: Die Faschisierung des Alpinismus, Der Weg der alpinen Vereine zum Nationalsozialismus, Der Grossdeutsche Wahn des Alpinismus. Aufbau und Vergessen. –
Viel Vergnügen!
Es fehlen nur noch die Trikots auf denen „Meinem Führer“ steht. Siehe das Team Özil-Erdogan.
Ich störe mich sehr an der Wortwahl „schwächster Kletterer“. Die damalige Presse hat alle 4 als herausragend gute Kletterer bezeichnet. Kommt hinzu, dass nicht gesagt ist, dass die vier die Erstdurchquerung alleine überlebt hätten, denn Kasparek und Harrer haben nun zusätzlich auch das Gepäck Heckmeirs getragen, so dass dieser viel besser an der Spitze der Seilschaft die gefährliche Route vorsteigen konnte. – Vörg alleine wäre nicht in der Lage gewesen, Heckmeir so zu entlasten.
Es waren vier aussergewönliche und unvergessene Menschen, wichtig in der Geschichte des Bergsteigens! Diese Bergsteiger waren primär Sportler und Idole der Generationen der sportbegeisterter junger Menschen und keine politische Figuren!
Nur wurden Sportler zu allen Zeiten von den Mächtigen für ihre Propaganda eingespannt. Da machte auch die vergangene WM keine Ausnahmen. Vielen Sportlern war das bewusst und einige haben es auch gewagt, sich dagegen zu wehren. Heinrich Harrer gehörte leider definitiv nicht zu ihnen.
Es geht um sportliche Leistungen und nicht um die Gesinnung!
„Es ist eine Pointe der Geschichte, dass mit Harrer ausgerechnet der schwächste Kletterer der berühmteste der Sporthelden Hitlers wurde.“
Das kann ich so nicht stehen lassen. Ich weiss nicht wie die Autorin zu diesem Schluss gekommen ist.
Ja die Seilschaft Harrer und Kasparek war die langsamere, dass ist richtig.
Aber jeder das Buch die „Weisse Spinne“ gelesen hat weiss das Harrer keine Steigeisen hatte!
Hätte Harrer so wie Heckmaier (der im übrigen gut vom NS-Regime gesponsert wurde, daher auch die 12 Zacken Steigeisen) auch die modernsten Steigeisen gehabt, wäre er sicher nicht langsamer gewesen.
Aber die Autorin hackt wohl einfach auf Harrer herum weil er bei der NSDAP und SS Mitglied war. So wie sehr viele andere in dieser Zeit.
Ja so wie sehr viele, aber längst nicht so viele wie sie glauben. Mein Grossvater z.B. war nicht dabei und musste auch als politisch Unzuverlässiger an die Ostfront. Alles was er getan hatte, war seinen jüdischen Nachbarn bei der Ausreise zu helfen. Umso bewundernswerter, wenn sich ein Prominenter nicht von dieser Verbrecherbande einspannen liess. Das sind echte Helden!
Tja, Baumgartner, der NSDAP und der SS fehlte es wohl generell am festen Halt, viele von denen rutschten direkt in die Hölle ab.
@ Keller
Zum Glück habe ich weder mit der Gessinnung der NSDAP was am Hut noch glaube ich an die Hölle.