Das blutige Ende der Romanows

In Putins Augen ein Schwächling: Undatiertes Archivbild des letzten russischen Zaren Nikolaus II. inmitten von Familienmitgliedern. Foto: Keystone
300 Jahre haben die Romanows über Russland geherrscht, ehe Zar Nikolaus II. im Zuge der Februarrevolution 1917 abdankt und mit seiner Familie unter durchaus erträglichen Bedingungen zuerst im Alexanderpalast bei St. Petersburg und dann in Sibirien unter Hausarrest gestellt wird. «Uns geht es gut, wir leben still und friedlich», notiert der Zar im Dezember, als sich in Russland bereits die nächste Revolution zugetragen hat: Am 7. November 1917 stürzt Lenin die provisorische Regierung. Im April 1918 bringen die Bolschewiken die Zarenfamilie nach Jekaterinburg ins «Haus zur besonderen Verwendung», wie sie die Villa des früheren Besitzers Ipatiew nennen.
«Mit Nicky Karten gespielt. 10 Uhr zu Bett», schreibt Zarin Alexandra am späten Abend des 16. Juli 1918 nieder. Es ist ihre letzte Notiz. Wenige Stunden später sind sie, ihr Mann, die Töchter Olga, Tatjana, Marija und Anastasia, Sohn Alexei sowie der Leibarzt, der Diener, der Koch und die Kammerzofe tot. Dahingerafft von einem Erschiessungskommando, befehligt von Lenin höchstselbst, ausgeführt von Tscheka-Offizier Jakow Jurowski und zehn Gehilfen.
Kurz nach Mitternacht wecken die Wachen die elf Gefangenen und weisen sie an, wegen angeblicher Unruhen zu ihrem eigenen Schutz in den Keller zu gehen. Dort verliest Jurowski das Todesurteil. Dann sind Zar und Zarin nach Schüssen ins Herz respektive in den Kopf als erste und sofort tot. Bei den Mädchen dagegen prallen die Patronen von den Körpern ab, weil sie sich für den Fall einer erfolgreichen Flucht Edelsteine in ihre Korsagen genäht haben. Mit Kopfschüssen und Bajonetten beenden Jurowski und seine Mitstreiter ihr blutiges Handwerk.
Verschwunden aus der Geschichte
Noch in derselben Nacht lässt Jurowski die Leichen in einen Bergwerksschacht werfen. Doch die gegnerische Weisse Armee steht bereits kurz vor Jekaterinburg. Die Bolschewiken fürchten, dass Zarengetreue die Familie finden und die Hinrichtungs- zur Pilgerstätte machen. Deshalb holen die Männer die Ermordeten am Tag wieder aus dem Schacht und fahren tief in den Wald. Zwei Tote übergiessen sie mit Benzin, zünden sie an und vergraben ihre Asche. Die anderen neun Leichen werfen sie in eine ausgehobene Grube, begiessen sie mit Schwefelsäure, fackeln das Ganze ab und bedecken es mit Erde und mit Hölzern, damit die Grabstelle aussieht wie ein Teil des Waldweges.
In der Nacht zum 17. Juli 1917 verschwindet die Zarenfamilie spurlos – nicht nur aus diesem Haus, sondern für Jahrzehnte auch aus der russischen Geschichte. Die Bolschewiken verkünden zwar die Hinrichtung des Zaren, lassen die Öffentlichkeit aber im Dunkeln über das Schicksal seiner Familie. Als Erster sucht der zarentreue Beamte Nikolai Sokolow nach ihr und findet 1919 im Wald Gegenstände wie Schmucksteine, Ikonentäfelchen, Kugeln und einen abgetrennten Finger – Indizien für einen Mord also, aber keine Leichen. Seiner Theorie, die Zarenfamilie sei verbrannt worden, schenkt die Öffentlichkeit keinen Glauben.
Heiligsprechung nach über 80 Jahren
Erst 1978 geht die Suche dort weiter, wo Sokolow aufgehört hat. Tatsächlich finden der Geologe Alexander Awdonin und der Filmemacher Geli Rjabow drei Schädel. Doch in einer Zeit, in der es in der Sowjetunion nur schon verpönt ist, den Namen Romanow zu nennen, will kein Wissenschaftler ihren Fund untersuchen. Also bringen sie ihn zurück. Nach dem Ende der Sowjetunion ist die Zeit reif. Die Regierung Jelzin ist bereit, sich der Vergangenheit zu stellen.

Gedenkgottesdienst für die Zarenfamilie im Wald bei Jekaterinburg am 17. Juli 2004. Foto: AP, Keystone
Am 13. Juli 1991 bergen Militärs die Gebeine von neun Toten. Gentests beweisen, dass es sich um die sterblichen Überreste des Zaren, der Zarin, ihrer Töchter Olga, Tatjana und Anastasia sowie des Arztes und der drei Bediensteten handelt. Gar erst 2007 gefunden werden die Zarenkinder Marija und Alexei. Damit ist eines der grössten Rätsel des 20. Jahrhunderts gelüftet und diese Frau, die sich Anna Anderson nennt und behauptet, Anastasia zu sein, als Lügnerin entlarvt.
Am 17. Juli 1998 findet die Zarenfamilie bei einem pompösen Staatsbegräbnis in St. Petersburg ihre letzte Ruhe. Im August 2000 spricht die russisch-orthodoxe Kirche die Zarenfamilie heilig und deklariert ein Kloster im Wald bei Jekaterinburg zur «Stätte der nationalen Sünde», wo jeder Russe Abbitte zu leisten hat. Selbst Wladimir Putin hat sich dort bekreuzigt, obwohl er Nikolaus II. als Schwächling verachtet.
Dennoch präsentiert sich Putin als Nachfolger der Zaren. «Er handelt direkt nach Drehbuch der Romanows», sagt der Historiker und Romanow-Biograf Simon Sebag Montefiore in einem Interview mit der «Weltwoche». Putin habe Ruhm und Ehre Russlands wiederhergestellt und das Land wieder zu einer Grossmacht gemacht. «Putin ist überzeugt, dass er das moderne Russland nur durch eine nationalistische Autokratie orthodoxen Glaubens retten kann.» Dies verbindet ihn mit den starken Zarenfiguren der Romanows.
6 Kommentare zu «Das blutige Ende der Romanows»
Wir waren zufällig am 16. Juli in Jekaterinenburg. An der Stelle der Villa steht heute eine Kathedrale, die den Heiligen der Zarenfamilie gewidmet ist. Diese ist, wie vor hundert Jahren bereits befürchtet, tatsächlich zur Pilgerstätte geworden. In der Nacht zum 17. Juli findet eine grosse Prozession statt. Zum 100sten Jahrestag ist sogar der russische Patriarch angereist.
Frau Stöhr, ich finde es beeindruckend, wie Sie es gekonnt verstehen, in einen geschichtstragikbezogenen Artikel mit dem abschätzig-untertonigen Hinweis, Putin empfinde den Zaren als „Schwächling“, einen aktuell-mainstreamakkuraten politischen Seitenhieb einzustreuen, welcher mit der dargestellten Tragik nichts zu tun hat. Und ach ja, Gott sei Dank haben Sie’s zweimal erwähnt. Die versteckte Pointe des Artikels soll den Lesern doch im Gedächtnis haften bleiben.
Man muss sich immer bewusst sein, dass Deutschland und Russland je zu 40 % den Ersten Weltkrieg verursacht haben und die restlichen 15 % die Donaumonarchie, deren alter Kaiser und seine Berater ihr Vorgehen gegen Serbien in ihren Konsequenzen überhaupt nicht verstanden haben. Franz Joseph war ja schon immer vorher bei seinen Kriegen 1859 und 1866 nicht sehr realistisch in seine Einschätzungen.
Diese verdammte Meinung der russischen Elite, gepaart mit reaktionären Ansichten betreffend Demokratie, der Bosporus und die Dardanellen müssen unbedingt russisch werden, wurde von diesem letzten Zaren voll vertreten.
So hat Nikolaus sich gegen Bulgarien 1912 gewandt, weil er bereits fürchtete
die Bulgaren könnten Istanbul erobern und nicht seine Russen. Dieser Zar war alles andere als friedlich.
@Rolf
Der letzte Zar aller Reussen war schwach und ein Kind seiner Zeit.
Sie haben recht, wenn Sie die Hauptschuld am Ersten Weltkrieg dem Deutschen Kaiserreich und dem Russischen Zarenreich zuordnen. Die Doppelmonarchie ist mehr oder weniger hineingeschlittert. Die Mentalitätsunterschiede zwischen dem österreichischen Kaiser und dessen „Chef“, dem Deutschen Kaiser, waren enorm. Der Zar und Wilhelm II, obwohl Gegner, standen sich mental näher.
sia. Ganz oben Vater Zar mit Zarin Alexandra, dazwischen die beiden anderen Mädchen Olga und Tatjana, ebenfalls zusammen im Gespräch über den Tisch. AR
Ich war einige Tage vor dem grossen Begräbnis in St.Peterburg am Flughafen, als die Gebeine der Familie Romanov zurückgebracht wurden und fuhr mit meinem Volvo direkt hinter der Volga, als die Gebeine in die Stadt zur Kirche gefahren wurden. Ich habe alles mit der Videokamera aus dem Auto heraus dokumentiert, es war eine sehr schnelle und lange Fahrt ins Zentrum St.Peterburgs. Am 17. Juli 1998 war die ganze Familie der Romanovs versammelt, aus ganz Europa zugeflogen oder mit dem Bus herangebracht. Endlich war die Familie wieder zusammen. Mein letzter Traum, den ich hatte, nach der Abdankung, leider auch Alexejs, die Familie beim Alexanderpalast, hinten auf der weissen Veranda vereint im Gespräch am langen Familientisch, fand jetzt endlich statt, ipse ego unten sitzend im Gespräch mit Anast