Zum Charakter einer Partei
Geschichte liefert gute Geschichten. Aus dieser Einsicht heraus entwickelte sich in der Privatwirtschaft eine Spezialität, die in angelsächsischen Staaten als «History Marketing» bekannt ist und ab den späten Neunzigerjahren auch auf Deutsch beliebt wurde: Da präsentiert man seine Firma, seine Produkte und Dienstleistungen als Ausfluss einer langen Geschichte. Da vermarktet man sich mit viel Tradition.
In einigen Branchen ist das Geschichtsgetue so beliebt, dass die Fernsehspot-Zuschauer wohl langsam glauben, die Angestellten in den Brauereien, Schokoladefabriken oder Privatbanken kämen mit Backenbärten, Lederschürzen und Zylinderhüten zur Arbeit. Aber der Trick ist branchenübergreifend einsetzbar: Erinnern Sie sich noch an die letztjährige Markenkampagne von VW?
Politik tut zukunftsorientiert
Wer in die Köpfe setzen kann, dass er «alt», «herkömmlich» und «urtümlich» ist, der gilt eben als besonders kompetent. Obendrein schafft die Tradition, ob erfunden oder wahr, einen gewissen Tiefgang. Ohne sie wäre die Uhr einfach ein Metallding zur Messung von Minuten und Stunden. Und das Skigebiet, das sich als Heimat steinalter Sagen präsentiert, hat einfach mehr zu bieten als nur Sessellifte und Schneekanonen.
Urtümlich und echt: Inzwischen gibt es wahre Spezialisten für die Schaffung solcher Patina. Nur eine Branche scherte sich bislang kaum um die Segnungen des History Marketing: die Politik. Die Parteien. Ob im Wahlkampf oder vor Abstimmungen – sowohl ihr Look wie ihre Botschaften stecken solide im Heute, mehr noch: Man tut eigentlich immer zukunftsorientiert.
Jenatsch meets Chönz
Eine Ausnahme gab es, die SVP. Früh hatte die Volkspartei begriffen, dass sie politische Signale aussenden kann, indem sie sich die Schweizer Geschichte unter den eigenen Nagel reisst. Denn wer festlegt, woher das Land kommt, sagt auch, wie es ist.
Dabei hausierte die Volkspartei keineswegs nur plump mit Tell- und Marignano-Mythen, wie ihre Gegner so gern spöttelten. Sondern sie nutzte selbst historische Details konsequent zur eigenständigen Deutung. Christoph Blocher betreibt eine regelrechte Referatsserie, worin er sich wichtigen regionalen Toten widmet, Johann Rudolf Wettstein in Basel, Huldrych Zwingli im St. Gallischen, Ulrich Ochsenbein im Bernbiet.
Zuletzt, Anfang Januar, reiste Blocher in die Stadthalle von Chur, um dort anderthalb Stunden lang drei Bündner zu rühmen: Selina Chönz, die Autorin des «Schellenursli»; Giovanni Segantini, den Maler – «dieser Ausdruck von Freiheit und Eigenständigkeit». Sowie Jürg Jenatsch: «Er hat gesagt: Graubünden darf nicht beherrscht werden von einer Grossmacht, und da ist mir jedes Mittel recht.» Der Bündner Rabauke als eine Art SVPler des 17. Jahrhunderts …
SVP-Klaus gegen CVP-Klaus
Als Nächstes steht nun eine grosse Veranstaltung zu Bruder Klaus an: In Flüeli-Ranft wird Mitte August der 600. Geburtstag des Nationalheiligen gefeiert, wobei neben dem Churer Bischof Vitus Huonder auch SVP-Historiker Peter Keller auftritt – sowie Christoph Blocher.
Für CVP-Präsident Gerhard Pfister war das nun offenbar doch etwas zu viel. Der Zuger, der das Parteiprofil bekanntlich auch mit herkömmlichen Werten schärfen will, monierte, dass der Bundesrat den Heiligen nicht mit einer nationalen Feier würdigen wollte. Und so ergreift er demnächst selbst das Wort, in einer eigenen Veranstaltung im Entlebuch. Der Titel seiner Ansprache: «600 Jahre Bruder Klaus – Vermächtnis und Verpflichtung».
Wo war die FDP am Gotthard?
Es liegt ja wirklich nahe, dass die CVP ihr Stück an Niklaus von Flüe beansprucht – am katholischsten aller Schweizer. Am Vermittler zwischen ländlicher und städtischer Gesellschaft. Am Urbild der Mässigung. Am Familienmenschen. An diesem Mix aus Bauernschläue und Mystizismus. An einem Leben in der Mitte der Schweiz.
Wir sehen: Neben der Deutungsmacht, welche die Geschichte liefert, könnten die Parteien auch Zukunftsslogans meisseln aus ihren eigenen historischen Wurzeln.
Man denke nur an die FDP – hätte sie nicht die Festivitäten zur Gotthard-Eröffnung und den Gotthard-Millionenfilm direkt auf sich umlenken können? «Wir bringen Fortschritt. Seit über 150 Jahren.» Und die Grünen: Wer kämpfte für Bio, als noch alles von «Kupfer, Wolle, Bast» spöttelte? Oder die Sozialdemokraten: Was wäre, wenn sie statt eines Würfels für einmal Willi Ritschard plakatierten, den Heizungsmonteur, der zum Landesvater wurde? Man ahnte wieder, welche Partei die Büezer wirklich ernst nimmt.
Die Beispiele sind sicher verbesserungswürdig (dafür gibt es ja die erwähnten Profis). Aber sie zeigen nebenbei eine wichtige Zusatzwirkung des History Marketing: Es zwingt dazu, sich zu fragen, woher man kommt. Weshalb man da ist. Was einen gross gemacht hat. Wieso man die Stürme der Vergangenheit überlebt hat.
Es führt zurück zum Kern. Zum Wesen der Marke. Zum Charakter einer Partei.
Kommentarfunktion deaktiviert.