SP heisst Streitpartei: Zerwürfnisse, die nachwirken

History Reloaded

Wofür genau steht die «Reform-SP»? Ständerat Jositsch und Kollegen erklären sich den Medien (27.02.2017). Foto: Alessandro Della Valle (Keystone)

Diese Woche machte sie wieder Schlagzeilen, die Gruppe um die SP-Politiker Daniel Jositsch und Pascale Bruderer, die seit neuem unter dem dankbaren Label «Reform-SP» auftritt. Was das inhaltlich bedeuten soll, ist allerdings nicht so klar. Und genau damit ist schon viel gesagt über diesen jüngsten Streit innerhalb der Sozialdemokratie.

Vergleicht man ihn mit früheren Auseinandersetzungen, muss man sagen: Debattieren konnte die SP auch schon besser. Und gehaltvoller.

1980er-Jahre: Gewerkschafter versus Neue Linke

Rot-grün, grün-rot: Heute scheint das einerlei. Wenn irgendwo gewählt wird, gehen SP und Grüne in der Regel Listenverbindungen ein, und auch inhaltlich unterscheidet beide Parteien wenig. Dabei führte das Aufkommen von Umweltthemen in der SP einst zu wüsten Streitereien. Und das Schweizer Fernsehen bestritt damit phasenweise ganze Abendprogramme.

SP-Präsident Helmut Hubacher im «Zischtigsclub» (Screenshot SF 1)

Im November 1985 zum Beispiel. Der «Zischtigsclub» widmete sich der Frage: «Gewerkschaft contra SP: Unversöhnlicher Bruderzwist im Haus der Arbeiter?» Im Studio sassen ausschliesslich Sozialdemokraten. Sie spiegelten die Konfliktlinie, die sich damals durch die Partei zog, recht gut: Klassische Gewerkschafter standen ökologisch bewegten neuen Linken gegenüber. Oder wie es in der Sendekritik der NZZ hiess: Der «staats- und fortschrittsgläubige Förderungs- und Verteilungssozialismus» kämpfte gegen «linksalternativen Öko- und Verweigerungssozialismus».

Es waren nicht nur Themen wie die Atomenergie und die Umweltverschmutzung, welche die SP spalteten. Auch bei anderen Themen – der Drittwelt- und der Frauenpolitik zum Beispiel – vertraten die jüngeren und akademisch geschulten Neumitglieder dieser Zeit andere Haltungen als die traditionelle Arbeiterschaft.

Im «Zischtigsclub» sass an jenem Abend auch Parteipräsident Helmut Hubacher, der betonte, wie sehr die SP vom Zulauf der 68er-Generation profitierte. Zumindest kurzfristig sah es allerdings anders aus: In den Wahlen 1987 fuhr die Partei ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten ein. Es profitierten: die frisch gegründeten Grünen.

1920er-Jahre: Revolutionär oder doch nicht?

Der bitterste Flügelkampf der SP liegt ziemlich genau 100 Jahre zurück. Rund um die Schweiz tobt der Erste Weltkrieg, und in Zimmerwald bei Bern beruft der Arbeiterführer Robert Grimm 1915 eine Konferenz ein, die ein Zeichen setzen will: Die sozialistischen Parteien Europas sollen ihre kriegführenden Regierungen nicht länger unterstützen.

Eine Minderheit, zu der auch der spätere Revolutionsführer Lenin gehört, will weitergehen: Sie fordert den Bürgerkrieg des europäischen Proletariats gegen die bürgerlich-monarchistischen Regierungen. Den Kampf bis zum Ende.

Zürich, Generalstreik 1918: Arbeiter gegen Kavallerie (Bild: Wikimedia Commons)

In der SP findet die «Zimmerwalder Linke» Einfluss. Die Partei relativiert im November 1915 den Burgfrieden mit den Bürgerlichen, den sie ein Jahr zuvor geschlossen hatte. Sie unterstreicht jetzt: Der Krieg sei nur «durch die revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse» zu beenden. Die sozialen Spannungen nehmen zu, in Russland bricht die Revolution aus, in der Schweiz der Landesstreik – den die Armee niederschlägt.

Der Richtungskampf bricht jetzt in der SP erst richtig aus. Zur Streitfrage wird der Beitritt zur Kommunistischen Internationalen. Wer sich ihr anschliesst, bekennt sich zur bolschewistischen Revolution. In der SP-Spitze stösst der Beitritt auf Sympathien, doch die Basis spricht sich in zwei Urabstimmungen dagegen aus.

Der linke Parteiflügel, in Erwartung der nahenden Weltrevolution, reagiert: Er gründet am 5. März 1921 die Kommunistische Partei. Die Trennung ist besiegelt, der Entscheid gefallen – gegen die Revolution.

Immer wieder: Regierung oder Opposition

Wenn es eine Frage gibt, die in der Geschichte der SP immer wieder zum Streit führte, dann diese: Soll die SP eine Oppositionspartei sein, eine Gegenmacht zur bürgerlichen Dominanz? Oder vertritt sie die Interessen ihrer Wähler besser im Bundesrat? Erstmals vor dieser Entscheidung stand die Partei Ende der 1920er-Jahre.

Nach einer langen und heftigen Debatte entschied sie sich 1929 dafür, einen eigenen Bundesratskandidaten aufzustellen – den Zürcher Stadtpräsidenten Emil Klöti. Die Kandidatur scheiterte.

Das Dilemma der SP löste das nicht. Mitten im Zweiten Weltkrieg prallten beide Positionen noch einmal aufeinander. «Die oppositionelle Stellung der SP muss verschärft werden!», forderte Präsident Hans Oprecht noch Ende 1942. Ein Jahr darauf wurde die SP in den Wahlen zur grössten Fraktion – und entschied sich ein weiteres Mal für eine Bundesratskandidatur. Ernst Nobs wird zum ersten SP-Bundesrat gewählt.

Als sein Nachfolger Max Weber 1953 nach einer verlorenen Volksabstimmung zurücktritt, kommt das vielen in der SP gelegen. Die Erwartungen an die Regierungsbeteiligung hatten sich nicht erfüllt.

Oppositionsfrage: Gescheiterte SP-Kandidatin Lilian Uchtenhagen (Foto: Erling Mandelmann, Wikimedia Commons)

Man ging erneut in die Opposition, jubelte über das «Bad im Jungbrunnen», das die Befreiung der Sozialdemokratie von der Mitverantwortung bedeute – und war dann doch enttäuscht. Mit der CVP einigte sich die SP auf den Deal, der 1959 zur Zauberformel führte, mit zwei SP-Vertretern im Bundesrat.

Ganz verschwunden ist die Oppositionsfrage aber doch nicht. Viele in der Partei stellten sie, als das Parlament 1983 Otto Stich anstelle der offiziellen SP-Kandidatin Lilian Uchtenhagen in den Bundesrat wählte.

Und nach der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative war der Ruf nach Opposition erneut da: Die Jungsozialisten riefen die Mutterpartei zum Rückzug ihrer Bundesräte auf, um «ausserhalb der Regierungsverantwortung eine Alternative für eine offene, solidarische und tolerante Schweiz zu entwickeln».

Daraus wurde nichts, das Thema verschwand wieder. Bis zum nächsten Mal.

Ein Kommentar zu «SP heisst Streitpartei: Zerwürfnisse, die nachwirken»

  • Marco Knecht sagt:

    Streiten gehört seit jeher zur Kultur der Arbeiterbewegung. Die Variante „…und sich wieder zusammenraufen“ ebenso wie leider auch „…und sich bis auf den Tod bekämpfen“. Zur zweiten Variante gehört das traurige Kapitel Stalinismus, das unzählige Opfer gefordert hat.
    Zur ersten Variante gehören z. B. auch der Streit in der SP Stadt Zürich nach den Jugendunruhen anfangs 80er, die Abspaltung DSP in Basel etwa zur gleichen Zeit, der Streit der SP Aargau mit „ihrem“ Regierungsrat Kurt Wernli usw. Keiner dieser Streite führte langfristig zu Spaltungen. Letztendlich zeugen alle von der demokratischen Lebendigkeit, Leidenschaftlichkeit und Streitkultur, die in den bürgerlichen Parteien u. Bewegungen ihresgleichen sucht.

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