Macrons Bäumchen für Trump: Worum es wirklich geht

Die Präsidenten schaufeln, des einen Gattin schaut zu: Gockelgehabe politischer Führer. Foto: Andrew Harnik (AP)

Sitzt man heute im Bistro Le Longchamp im schmucken Städtchen Villers-Côtteret vor einem Espresso, denkt keiner an Krieg. Stünde da nicht dieses amerikanische Kriegsdenkmal in der Nachbarschaft; ein britisches steht zudem im nahegelegenen Wald.

Hier, im Departement Aisne, trug sich vor genau 100 Jahren eine vorentscheidende Schlacht zu, welche die deutsche Niederlage ein halbes Jahr später einleitete – dank der militärischen US-Unterstützung. Die Amerikaner beklagten rund 10’000 Tote, die Briten fast 30’000; die Franzosen nahezu 100’000 und die Deutschen 130’000 – abstrakte Zahlen für die Nachgeborenen, zumal das Gemetzel nur ein paar Tage, vom 27. Mai bis zum 6. Juni, dauerte.

Dankbare Franzosen

Aus dieser Gegend soll ein kleines Eichenbäumchen stammen, das vor etlichen Wochen im Garten des Weissen Hauses für Furore sorgte. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron brachte es seinem Gastgeber Donald Trump als Geschenk mit. Die Fernsehstationen übertrugen weltweit die symbolträchtigen Bilder von zwei Männern, die gemeinsam einen Baum pflanzten: Jeder Freizeitpsychologe konnte die Szene als das lesen, was sie war: Das Gockelgehabe zweier politischer Führer, die ein Zeichen für die Zukunft setzen wollten.

Diese Zukunft dauerte nicht lange an. Am nächsten Tag war das Bäumchen weg. Es musste zur Verwahrung in die Quarantäne, damit es keine üblen Käfer in den USA verbreitet. Das jedenfalls liess der französische Botschafter verlauten und versicherte, das Bäumchen komme in den Garten zurück.

Macron wollte die Dankbarkeit der Franzosen gegenüber den Amerikanern unterstreichen, die in der Schlacht einen deutschen Durchbruch verhinderten. Zu Beginn dieser Offensiven sah es nämlich schlecht aus für die Entente. Die Deutschen wollten an der mittleren Westfront ihre Erfolge aus dem Jahr 1914 wiederholen. Damals schafften sie es mit schnellen Truppenbewegungen, schier blitzartig die Marne zu überqueren. Sie stiessen bis zur Ortschaft Meaux vor, lediglich 30 Kilometer nördlich von Paris. So nahe an einer militärischen Niederlage war Frankreich seit 1871 nicht mehr gewesen, als deutsche Truppen durch die Champs Elysées paradierten und kurz danach die Commune ausgerufen wurde.

Herzzerreissende Briefe im nüchternen Stil

Doch diesmal war alles anders. Nach Anfangserfolgen für die Deutschen kam ihr Angriff wegen der amerikanischen Unterstützung ins Stocken. Die ohnehin kriegsmüden Verbände konnten die Marne nicht mehr überqueren und mussten sich verlustreich zurückziehen. Die Verantwortung für diesen Verschleiss an Menschenleben trugen Wahnsinnige, anders lässt es sich nicht sagen. Einer der wichtigsten Strategen dieser Frühjahrsoffensive war der deutsche General Erich Ludendorff (1865–1937). Der Mann war ein Verschwörungstheoretiker. In seiner antisemitischen Verblendung warf er den Nationalsozialisten und insbesondere Adolf Hitler nach der Machtübernahme 1933 vor, zu wenig gegen das «Weltjudentum» zu unternehmen. Für Ludendorff waren die Soldaten an der französischen Front Schachfiguren, die er jederzeit und überall opfern konnte.

Vom Drama damals zeugen heute die Briefe der Beteiligten. Sie sind oft in einem fast unglaublich nüchternen Stil verfasst. Denn es war damals untersagt, in solchen Briefen zu jammern, da war die Militärzensur unerbittlich. Es sollte in der Bevölkerung kein Defätismus aufkommen, der den Sieg hätte infrage stellen können. Zwar durften die Tragödien beschrieben werden, aber nur als Nachrichten.

Der Sinn des Bäumchens

Ein gutes Beispiel dafür liefert der Brief einer «Familie Ebbert aus Mainz», die einem Sohn vom Schicksal seines Bruders an der Aisne berichtet. Der Vater schrieb am 8. Juni 1918 an Josef Ebbert, der sich mit dem Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 254, 3. Komp. an der Westfront befand:

«Lieber Seppel, der erste Brief, den ich Dir ins Feld schicke, bringt Dir gleich eine harte traurige Nachricht. Verschweigen ist ja wertlos. Also heute 12 Uhr kommt von der 9 Komp Regt 37 ein Brief, den Inhalt habe ich schon vor dem Öffnen gewusst. Am 27. Mai morgens ist Franz von einem Artilleriegeschoss getroffen & am selben Tage gestorben bei Villers am Aisne-Kanal. Also Franz ist nicht mehr eine harte Tatsache, kannst Dir vielleicht denken, wie uns diese Nachricht getroffen hat. Vater Mutter Toni.»

Wenn das Bäumchen im Garten des Weissen Hauses dereinst künftigen Generationen vom Drama rund um Villers-Côtteret berichtet, hätte es doch noch einen Sinn gehabt, es zu pflanzen.

18 Kommentare zu «Macrons Bäumchen für Trump: Worum es wirklich geht»

  • Rolf Zach sagt:

    Wir müssen uns über eines klar sein, es haben diejenigen Nationen im Ersten Weltkrieg verloren, die nicht fähig waren auf die gewaltigen Herausforderungen einer solch technisch-industriellen Kriegsführung entsprechend ihre ganze Gesellschaft zu mobilisieren.
    Sehr gut dargestellt hat dies Adam Tooze in seinem Werkt „Sintflut, die Neuordnung der Welt 1916-1931“. Die Briten reagierten auf die Bedürfnisse der unteren Klassen, ebenso in Frankreich, trotzdem es durch seine Kriegsgerichte mehr eigene Soldaten exekutieren ließ als das Deutsche Reich.
    Kaiser Wilhelm, Hindenburg und die ganze Aristokratie war überhaupt nicht gewillt, irgendetwas von ihren Privilegien abzugeben. Ludendorff suhlte mit seiner Weltanschauung, die nicht die des Kaisers war, in seinem kruden Rassismus und Judenhass.

    • Rolf Zach sagt:

      Diese abgetakelten deutschen Fürsten mit ihrem reaktionären Weltbild, die den Kaiser mit seiner bornierten Dummheit ergänzten, übernahmen dankbar den Judenhass von Ludendorff , damit sie möglichst in der Weimarer Republik ihr Reichtum und ihr Einfluss erhalten blieb. Papa Hindenburg war ihr faules Mitglied. Ludendorff verachtete sie, wie Hitler auch.
      Dies war auch der Grund, dass 1933 die Generäle der Reichswehr vom Kaiser und seinem Hofstaat nichts mehr wissen wollten und voll auf Hitler setzen und den beschränkten Hindenburg überzeugen konnten, dass Hitler der richtige Mann sei, was ja noch durch seinen strohdummen Sohn Oskar zusätzlich unterstützt wurde, es ging ums liebe Geld.
      Eigentlich haben Ebert und seine Genossen trotz Versailles Deutschland 1918/19 als Einheit gerettet.

      • Rolf Zach sagt:

        Am liebsten hätten Clemenceau und seine Militärs den Rhein von Emmerich an bis nach Basel als französische Grenze installiert wie zu Napoleons Zeiten. Da wäre natürlich auch Belgien französisch geworden, etwas was die Briten und ihrem Schlepptau die Amerikaner niemals zugestimmt hätten. Dann wäre Frankreich auf Kontinent der eindeutige Hegemon Europas geworden, immer ein Alptraum der Briten, welche Nation es auch sein könnte.
        Für ihre eigenen Völker und um Clemenceau zu besänftigen, macht man aus den Deutschen das absolut böse und die Forderung nach turmhohen Reparationen. Clemenceau wäre ein Aufspaltung Deutschlands in verschiedenen Staaten, wie bei der Donaumonarchie, lieber gewesen.

      • Rolf Zach sagt:

        Kaiser Franz Joseph, war als Gläubiger in seiner eigenen Sendung gefangen. Er hatte die Überzeugung, alle Konflikte in seinem Reich seien ein absolutes nichts. Die Völker zufrieden und das Proletariat auf den Strassen kaisertreu, obwohl in Österreich die Klassengegensätze neben Russland die schärfsten waren.
        Er hat nie seinen Machiavelli gelesen und hat immer Kriege angefangen ohne Verstand, ob dies 1859, 1867 und 1914 waren. Der berühmte Romancier Josef Roth schildert ihn in dieser Sache als Friedensfürst vollständig falsch. Manfred Rauchsteiner hat ihn zu Recht entzaubert.
        Auch die Donaumonarchie war unfähig etwas für die unteren Schichten zu tun, gleichfalls die Türkei, auch so ein Schwerenöter.

  • zweistein sagt:

    Auch Rolf Hürzeler darf bei Fake-Geschichte frisch aufgewärmt mitmachen, denn auch er heuchelt, lügt und schummelt wie ein Weltmeister. Bravo !

    • Margrit Ryssel sagt:

      Was bitte meinen Sie mit Fake-Geschichte, Herr oder Frau zweistein?

      Könnten Sie das ev. so formulieren, dass ich Ihren Beitrag mit meinem lausigen Modell MyBrain V. 1.0 auch kapiere? 1 -Stein scheint mir heut glaublich auf meinen Gring getätscht zu sein.

      Bin daher in bedauernswerter Weise heute ein wenig begriffsstutziger als sonst.

      Besten Dank für Ihre Hilfe!
      -rym Ch

  • Tofa Tula sagt:

    In der heutigen Situation ist es nicht ohne Ironie, dass sich Macron beim zurzeit potentiell groessten „Gegner“ Europas (so wird es ja vielerorts dargestellt) ausgerechnet mit einem Geschenk bedankt, dass an die boesen Taten seines jetzt wichtigsten Alliierten in Europa (Deutschland) erinnert.

    • R. A. Green sagt:

      Die Franzosen haben nach wie vor generell ein „ungutes Bauchgefühl“, wenn es um die Deutschen geht. Allerdings habe ich dies als Schweizer auch. Die Franzosen sind klug genug nicht zu vergessen, wer in der Vergangenheit ihnen zuverlässig zur Seite stand! Und wer in Europa nach wie vor unberechenbar und und nach Macht strebend ist.

  • Matthias Meier sagt:

    Einen kranken Judenhasser als Verschwörungstheoretiker zu bezeichnen und damit die, die heutzutage als Verschwörungstheoretiker bezeichnet werden, mit ihm in den gleichen Topf zu werfen ist schon ein starkes Stück. Heutzutage werden ja ganz verschiedene Leute als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, Leute, die wirklich totalen Unsinn glauben, aber auch Leute, die berechtigterweise und fundiert die offiziellen Darstellungen von Regierungen und Medien in Frage stellen und auf Ungereimtheiten hinweisen. Verschwörungstheoretiker – der Begriff, der nach dem Kennedy-Mord von der CIA eingeführt worden ist, um damit Kritiker an den offiziellen Untersuchungsergebnissen abzustempeln und zu diskreditieren.

    • Thomas Hartl sagt:

      Damals wie heute existiert eine lange Liste von Verschwörungstheorien. Einige sind skurril und harmlos, andere brandgefährlich. Zu den Verheerenden gehört jene vom Weltjudentum, also dass Juden die Weltherrschaft an sich reissen wollten. Dieser Verschwörungstheorien ist auch Ludendorff erlegen, daher war Ludendorff sowohl Verschwörungstheoretiker als auch ein kranker Judenhasser. Leider ist diese Verschwörungstheorie nicht mit dem Ende der Naziherrschaft untergegangen, man pflegt sie auch heute noch in rechtsextremen Kreisen.

  • René häusler sagt:

    Schade, bedauerlich für diesen Kommentar. Da ist alle Luft für eine Zukunft endgültig tot oder noch töter… Persönlich denke ich es gibt eine Zukunft. Wenn wir alle daran arbeiten, wird diese Zukunft nicht so schlecht sein. Packen wir’s doch an, oder?

  • Ralf Schrader sagt:

    Soldaten waren nicht nur für Generäle aller Zeiten, aller Armeen Schachfiguren, sie sind es. Ganz grundsätzlich, überall zu jeder Zeit, an jedem Ort sind Soldaten Schachfiguren.

    Krieg ist die Fortsetzung von Politik mit militärischen Mittel und Politik besteht in der Abstraktion von allem Menschlichen. Politik wird nicht von und nicht für Menschen gemacht. Das Bäumchen ist tatsächlich nur Gegockel, gehört wie Wahlkampf nicht zur Politik, sondern zur Unterhaltungsindustrie. Genau wie Briefe von Franz an Seppel oder Josef nur Girlanden des Krieges sind. Keiner Erwähnung wert.

    • Thomas Hartl sagt:

      Trotzdem ist eine Erinnerungskultur, auch von persönlichen Schicksalen, sinnvoll. Sie trägt ein klein wenig dazu bei, dass es den Mächtigen dieser Welt heute schwerer fällt, ganze Generationen zu fanatisieren und in Kriegen zu verheizen.

      • Ralf Schrader sagt:

        Das wird behauptet, nur kann ich in der Realität keine Belege für diese Behauptung finden. Ich halte es für völlig illusorisch, dass eine private Haltung auch in grossen Menschengruppen auf politische Artikulationen überspricht.

        In analogen individuellen Situationen, der psychotherapeutischen Traumabewältigung, versucht man ja auch nicht, die Erinnerung an das Trauma zu bewahren. Man arbeitet es einmal und nur einmal auf, um es dann dem Vergessen anheim zu stellen.

      • Thomas Hartl sagt:

        Seit dem Vietnam-Trauma kann es sich keine US-Administration mehr erlauben, Kriege mit solchen Opferzahlen auf eigener Seite vom Zaun zu reissen. Ich fände es verheerend, dieses Trauma dem Vergessen anheim zu stellen. Leider erlaubt die technologische Überlegenheit heute so grosse Asymmetrien bezüglich Opfer, dass Kriege trotzdem eine Option bleiben.

    • Hans Hegetschweiler sagt:

      Geschichte von unten hat sehr wohl ihre Berechtigung. Sie sind nicht verpflichtet, historische Artikel zu lesen, können aber andererseits nicht für andere bestimmen, was der Erwähnung wert ist. Dass Politik in der Abstraktion von allem Menschlichen besteht, ist in dieser Absolutheit gelinde gesagt Unsinn. Der Satz „ich halte es für völlig illusorisch, dass eine private Haltung auch in grossen Menschengruppen auf politische Artikulationen überspricht“ ist im Übrigen unverständlich..

      • Ralf Schrader sagt:

        Menschen können in 3 Schubladen interagieren. Psychisch, sozial und gesellschaftlich (politisch). Diese 3 Kategorien übersprechen nicht. Da sind sich Psychologen, Soziologen und Philosophen so wie sehr selten weitgehend einig.

        Die beste psychologische Ausstattung befördert kein besseres Sozialverhalten oder Politikfähigkeit. Im Gegenteil, edle Menschen sind meist lausige Politiker mit Tendenz zur Dissozialität. Ausgeprägt soziale Menschen kann man nicht als Politiker oder Ehemann gebrauchen. Gute Politiker schliesslich sind häufig das, was man schlechte, beziehungsunfähige Menschen nennt.

        Abstrakt und höflicher kann man sagen, Charakter, Sozialität und Politikfähigkeit sind 3 orthogonale Faktoren. Die 3 Sphären sind praktisch unabhängig voneinander.

      • Pjotr Müller sagt:

        @Schrader: «Ausgeprägt soziale Menschen kann man nicht als Politiker oder Ehemann gebrauchen.»
        Damit implizieren Sie, dass Frauen keine Menschen sind. Wollten Sie das wirklich?

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