Marx und die Schweiz
Im Kommunistischen Manifest, das im März 1848 erschien, werden fünf Bündnispartner erwähnt. Neben den englischen Chartisten (Vorgänger von Labour), nordamerikanischen «Agrarreformern», polnischen Nationalrevolutionären und französischen Linksrepublikanern kommt auch der Freisinn vor: «In der Schweiz unterstützen die Kommunisten die Radikalen, ohne zu verkennen, dass diese Partei aus widersprechenden Elementen besteht, teils aus demokratischen Sozialisten im französischen Sinn, teils aus radikalen Bourgeois.»
Das Recht, «sich selber zu regieren»
Karl Marx hatte bereits am 29. November 1847 als Vizepräsident der Demokratischen Gesellschaft Brüssel eine «Adresse» an die Freisinnigen verabschieden lassen. Sie war Teil einer europäischen Solidaritätsbewegung, die durch den Sonderbundskrieg ausgelöst worden war. Aus den 53 Grussbotschaften an die liberale Tatsatzung fällt die von Marx unterzeichnete auf durch ihren realpolitischen Inhalt. Während andere der liberalen Schweiz erklärten, was sie nach dem Sieg zu tun habe, beschränkte sich Marx auf das damals Entscheidende: gegen die «Einmischung der Könige», für «das Recht» der Schweiz, «sich selber zu regieren».
Genau ein Jahr später, am 29. November 1848, veröffentlichte Marx in seiner «Neuen Rheinischen Zeitung» einen Artikel von Friedrich Engels mit dem Titel: «Die Persönlichkeiten des Bundesrates». Während der Berner Ulrich Ochsenbein wegen seines Rechtsrutsches schlecht wegkommt, wird der Waadtländer Henry Drey als «entschiedener Anhänger» einer «roten Republik» gewürdigt. Allerdings sollte sich die Hoffnung, dass der «sozialistische Demokrat mehr und mehr an Einfluss gewinnen» wird, nicht erfüllen. So hatte Marx 1853 für die anpässlerische Haltung des Bundesrates gegenüber den europäischen Monarchien nur Spott übrig.
Die Uhrenindustrie als Beispiel
Umso grösseren Respekt zollte Marx der jurassischen Uhrenindustrie, der er den längsten Satz im 1867 erschienenen ersten Band des «Kapitals» widmete. Mit den 36 Berufsbezeichnungen von «Rohwerkmacher, Uhrfedermacher» bis «graveur, ciseleur» illustriert er, wie sich die Uhr «aus dem individuellen Werk eines Nürnberger Handwerkers in das gesellschaftliche Produkt einer Unzahl von Teilarbeitern» verwandelte. Am Beispiel von La-Chaux-de-Fonds, «das man als eine einzige Uhrenmanufaktur betrachten kann», stellt Marx die Uhrenindustrie als Paradebeispiel der «auf Teilung der Arbeit beruhenden Kooperation» vor. Dabei gibt er der «heterogenen Manufaktur» der «voneinander unabhängigen» Betriebe im Kanton Neuenburg den Vorzug vor der «organischen» in Genf, die «unter dem Kommando eines Kapitals» stattfindet.
Es ist eine Ironie der Geschichte, wurden ausgerechnet die jurassischen Uhrenarbeiter für Marx zu einem seiner grössten Probleme. Es war seinem Gegenspieler in der Internationalen Arbeiterassoziation, dem russischen Anarchisten Michail Bakunin, gelungen, mit seiner «Juraföderation» die dezentral Beschäftigten zu gewinnen. Dafür setzte sich Marx bei den Belegschaften in den Genfer Grossbetrieben durch. Interessant ist, dass sowohl der schweizerische Kopf der Marxisten, Johann Philipp Becker, wie auch derjenige der Bakunisten, James Guillaume, einen freisinnigen Hintergrund hatten. Becker, Organisator des legendären Genfer Bauarbeiterstreiks von 1868, war im Sonderbundskrieg Adjutant von Kommandant Ochsenbein gewesen. Guillaumes Vater war 1853 bis 1888 Neuenburger Regierungsrat.
Angesehener als bei den jurassischen Anarchisten war Marx bei den Winterthurer Demokraten. Reinhold Rüegg, England-Korrespondent des «Landboten», bewegte sich im Umfeld von Marx. Nationalrat Salomon Bleuler, Verleger und Redaktor, schrieb ihm 1871: «Ihre Bekanntschaft mit Marx freut mich. Man wird ihn noch hoch stellen, wenn er einmal – nicht mehr da ist.»
Josef Lang verfasste für das nächstens erscheinende Buch «MarxNoMarx» (Edition 8) den Beitrag «Marx und die Demokratie. Konsequente Praxis, inkohärente Theorie».
Lesen Sie auch «Die Ware heisst Karl Marx» und, zum Sonderbundskrieg, «Als ein Brite die Schweizer Unabhängigkeit rettete».
10 Kommentare zu «Marx und die Schweiz»
Vielleicht sollte man auch seinen Kompagnon Friedrich Engels zu Wort kommen lassen:
„Endlich also wird dem unaufhörlichen Großprahlen von der „Wiege der Freiheit“, von den „Enkeln Tells und Winkelrieds“, von den tapferen Siegern von Sempach und Murten ein Ende gemacht werden! Endlich also hat es sich herausgestellt, daß die Wiege der Freiheit nichts anders ist als das Zentrum der Barbarei und die Pflanzschule der Jesuiten, daß die Enkel Tells und Winkelrieds durch keine andern Gründe zur Raison zu bringen sind als durch Kanonenkugeln, daß die Tapferkeit von Sempach und Murten nichts anders war als die Verzweiflung brutaler und bigotter Bergstämme, die sich störrisch gegen die Zivilisation und den Fortschritt stemmen!“
Ist das wirklich alles, was es zu Karl Marx und der Schweiz zu sagen gibt? Das sind ja bloss ein paar Anekdoten, die aufzuwärmen niemandem neue Erkenntnis bringt.
Sein Freund und Sponsor hat dafür noch was geschrieben zur Schweiz:
http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_391.htm
Ich glaube auch nicht, dass dies Vielen neue Erkenntnis bringt, will auch kaum jemand neue Erkenntnisse, neue Erkenntnisse stellen die alten Gewissheiten in Frage.
Die AHV und die Raumplanung sind für mich die grössten Erfolge der schweizerischen Demokratie. Die AHV ist angewandte Gerechtigkeit. Die Raumplanung schränkt die private Eigentumsrechte zugunsten der Allgemeinheit. Beide wurden nach einem zähen Kampf der Arbeiterbewegung und grosser Teile des aufgeklärten Bürgertums erreicht. Niemand wird heute bestreiten, dass diese zwei Einrichtungen unverzichtbare Teile der modernen Schweiz sind. Beide sind Bestandteil sozialistischer Gesinnung. In diesem Sinne war der marxsche Einfluss auf die Schweiz durchaus positiv.
Nach dem Sonderbundskrieg im November 1847 (Er dauerte zum Glück fast nur 4 Wochen) war die Schweiz an der Spitze des demokratischen Fortschritts in Europa. Wir waren weltweit Pioniere und noch freiheitlicher als die USA, die nämlich damals noch schwer in der Sklaverei steckte. Können wir als die Nachfahren von 1847 das gleiche von unserer heutigen Schweiz feststellen? Von allen Nationen in Westeuropa sind wir eher am Schluss der Demokratien als nämlich die Erste, trotz Referendum und Initiative. Wir haben keine Verfassungsgerichtsbarkeit und keine Transparenz in der Parteienfinanzierung. Ebenso keine abgesicherte betriebliche Mitbestimmung, wie zum Beispiel in Deutschland. Wo bringen wir uns in Europa ein als Beispiel für andere?
Es ist richtig zu sagen, Staaten haben nur Interessen.
Aber wie nehmen wir unsere Interessen war?Ständig hoffen wir, dass die EU scheitert und noch mehr der Euro. Wir sind gegen alles, was übergeordnet zusammen effizienter für alle in Europa organisiert werden kann. Wir vertreten unsere Interessen sehr selten, dass aus unserem Interesse zusammen mit anderen Interessen eine Win-Win-Situation enstehen kann. Am Schluss schadet es unseren Interessen, außer einer kleinen Minderheit, was nicht unbedingt zielführend ist. Wir sind dann in Europa komische Vögel, die nichts verstehen und es führt dazu, dass einzelne Staaten in Europa uns leicht hintergehen können, da sie im Miteinander mit uns nichts erkennen, was ihnen Schaden könnte.
Wir haben keine Verfassungsgerichtsbarkeit weil das Volk ein Gesetz durch ein simples Referendum verhindern kann. Die Verfassung wiederum kann durch eine Initiative angepasst werden.
Wie soll das Verfassungsgericht demokratischer entscheiden als das Volk?
..und wenn Ihnen die Parteienfinanzierung so wichtig ist (weshalb eigentlich? )dann machen Sie doch eine Volksinitiative.
„…wenn Ihnen die Parteienfinanzierung so wichtig ist (weshalb eigentlich? )“
Ja, die ganzen Demokratien der Welt sind nicht frei: Nirgendwo darf man im heimlich Politiker kaufen, äh, es heisst richtig in der Schweiz denen etwas spenden, zu sagen, man wpürde damit die kaufen ist ja üble Nachrede oder so. Überall gibt es Offenlegungspflichten zur Finanzierung von Politikern: Worüber Kohl stolperte, die anonyme Spender denen er sein Ehrenwort gab, in der Schweiz wäre dies kein Thema. Wir Schweizer wollen nicht wissen, wer unsere Politiker kauft, auch nicht mit wie viel, wir wollen Freiheit.
Die Saudis dürften unseren Politikern nach deren Wahl beliebig viel Geld „spenden“, das interessiert uns nicht: Aber wehe, die finanzieren eine Moschee bei uns, dann ist die Empörung gross, dann ist unsere Freiheit unsere Kultur in grosser Gefahr.
Dem Gerede vom Politiker kaufen liegt der Irrtum zugrunde, dass der Politiker / die Partei eigentlich etwas ganz Anderes wolle als jene, die das finanzieren. Eigentlich wären die Politiker ja dem kleinen Mann und der Gerechtigkeit verpflichtet, wenn da nur nicht die bestechenden Grosskapitale wären, die anstatt im Coop Pommes im Parlament Politiker kaufen. Ein einfältiger Idealismus, zumal jeder Politiker grundehrlich sagt er sei der Schweiz verpflichtet und sonst niemandem. Da ist er schon, der Abschied von all den schönen Sachen, für die Politiker laut den Idealisten der guten Führung eigentlich da zu sein hätten. Das will aber niemand einsehen, denn die Schweiz sind wir alle, die Politik sind wir neuerdings auch alle, und sowieso steckt überall extrem viel von „Uns“ drin.