Die grosse grüne Verschwendung
Kleine Frage: Wenn Sie vom Eigenheim träumen, wenn Sie sich ihr ideales Häuschen vorstellen – hätten Sie dann gern einen Rasen vor der Tür?
So ganz selbstverständlich ist das ja nicht. Man könnte sich auch eine Öko-Wildnis erträumen, einen Sportplatz aus orangem Hybridkunststoff, einen eleganten Steingarten oder eine grandiose Holzveranda.
Aber nein, die meisten Menschen wünschen sich eine Rasenfläche, umrandet vielleicht von einer Hecke.
Ist doch logisch, antworten die meisten Menschen: So ein Rasen ist schön, man kann drauf liegen und spielen, er ist natürlich und erst noch rasch gemäht.
Aber keiner wird je antworten: Ich will einen Rasen, weil ich ein Sklave der europäischen Geschichte bin.
Wir glauben, Normen seien Wirklichkeit
Was sich hinter dem grünen Traum verbirgt, lässt sich im neusten Werk von Yuval Noah Harari nachlesen. Nach seinem Weltbestseller «Sapiens» hat der israelische Historiker jetzt sein nächstes Übersichts-Werk vorgelegt: «Homo Deus». Das Buch erläutert wiederum Grundsätze der gesamtmenschlichen Entwicklung, diesmal mit wagemutigen bis waghalsigen Weiterführungen in die Zukunft.
Zur Methode des Bestsellerhistorikers gehört, dass er Mythen, Denkmuster und Regeln festmacht, welche die Menschheit steuern – an unterschiedlichsten Orten, aber sehr grundsätzlich. Und daraus lassen sich dann ganz grosse Züge unserer Entwicklung herauserklären. An Einzelbeispielen zeigt Harari sodann, dass wir, die heutigen Leserinnen und Leser, selber in diesem Normensystem sitzen – aber glauben, das sei die Wirklichkeit.
Die Akropolis hatte auch keinen Rasen
Dass die Welt plötzlich neu schillert, wenn wir sie in der historischen Adlerperspektive sehen, ist ja auch das Thema dieses Blogs. Dass die Herkunft unsere Ideale prägt, ist auch kein Geheimnis. Es gibt etwa einen gesellschaftlichen Trickle-down-Effekt, wonach die Reichen etwas vormachen und die weniger Reichen in der nächsten Generation dasselbe tun. In den Schweizer Reihenhäusern hängten die Eltern noch bleierne Wappenscheiben ans Fenster oder stellten Zinnkrüge auf: Niederschläge von Adelssymbolik. Wir trinken, wenn wir Spezielles begehen, etwas Prickelndes – Prosecco, Champagner, Frizzante, whatever –, weil im 19. Jahrhundert erst das geldschwere Grossbürgertum schäumend feierte.
Und so sitzen wir auch da und glauben, ein Rasen müsse sein. Dabei hatten unsere Vorfahren das ungeniessbare Gras jahrtausendelang missachtet. Weder die Erbauer der Akropolis, des Kolosseums noch der Verbotenen Stadt in Peking sagten sich: Jetzt pflanzen wir noch einen Rasen hin, das ist doch hübsch. Auch die Ritter hätten nur Verachtung übrig gehabt dafür.
Was für eine Verschwendung!
Der Siegeszug der Grasfläche begann erst, als der königliche und hohe Adel im 17. Jahrhundert erst in England, bald darauf in Frankreich, erkannte, welch grandioser Bluff solch eine leere Grasfläche ist. Sie verlangt eine Menge Arbeit, aber wirft überhaupt nichts ab. Wer sich das leisten konnte, stand wirklich ganz oben auf der gesellschaftlichen Pyramide; je grösser die verschwendete Fläche, desto höher. Und vor allem: Jeder konnte das sofort von aussen sehen – grandios!
Zugleich verankerte sich hier die langfristige Denkweise des Adels im Boden. Denn einen Garten legt nur an, wer in Generationen denkt, und diese Luxusperspektive konnten sich auch nur die wenigsten Familien leisten.
Erst Adel, dann Tennis und Fussball
Die Ehrfurcht vor dem gemähten Gras überstand die bürgerlichen Revolutionen. Also grünt es heute grossflächig vor dem deutschen Bundestag, und wenn der amerikanische Präsident etwas Wichtiges verkünden will, tut er das auf dem Rasen vor dem Weissen Haus. (In Bern bescheidet sich das Bundeshaus mit einem Wieslein vor der Bundeskanzlei – es wäre noch zu prüfen, wie sehr auch hier die republikanische Tradition der Schweiz im Detail spriesst).
Der Rasen jedenfalls wurde zur Palette von Macht und Extravaganz, sodass im 19. Jahrhundert die reichere Bourgeoisie auf ihr Stück Grün pochte. Wobei die Grasfläche in diesen Kreisen bald noch einen praktischen Einsatz fand – für Fussball und Tennis. In Sportarten, die danach ihren Siegeszug antraten. Dies machte den Rasen noch verstärkt zur Fläche der Träume.
Es braucht keine Rüben mehr
Der Rasen ging den Weg der Demokratisierung von Reichtum und Technologie, schön zu verfolgen auch in der Schweiz des 20. Jahrhunderts: Dank neuen Hilfsmitteln wie dem Rasenmäher und dem Baumarkt-Sprenkler konnten ihn auch Menschen haben, die sich kein Dienstpersonal und bloss ein Einfamilienhäuschen leisten konnten. Auch sie durften nun damit zeigen, dass sie nicht mehr darauf angewiesen waren, vor der Türe Rüben zu pflanzen.
Heute nun weist Yuval Noah Harari, der Israeli, verschmitzt darauf hin, dass sich die Verschwendungs-Power des Rasens selbst im 21. Jahrhundert noch weitertreiben lässt. In den neureichen Golfstaaten, wo jetzt wirklich alles andere hinpasst, braucht der, der wirklich dabei sein will, einen fetten, grünen Rasen.
- Yuval Noah Harari: «Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen», Verlag C. H. Beck.
24 Kommentare zu «Die grosse grüne Verschwendung»
Wir haben Rasen vor dem Haus, damit die Kinder drauf spielen können und weil es schön aussieht. Wer hat schon Lust auf Betonwüste? Wenn der Untergang von Europa kommt, können wir ihn in einen Kartoffel-Acker umfunktionieren oder Schafe drauf halten ohne erst Nutzbäume zu fällen. Also quasi eine Cold-Standby Facility für Krisen. Wieso man beim Rasen anfängt, über menschliche Verschwendungstendenzen nachzudenken, verstehe ich nicht. Ich denke, da gäbe es interessantere Luxus-Objekte zu ergründen (teure Uhren, Fahrzeuge, Kleidung, kulinarische Prestige-Absurditäten, Shopping Wochenenden in New York, Manager-Boni, etc.etc…)
Als Sportplatzplaner möchte ich dennoch eine Lanze pro (Natur-)Rasen brechen. Immerhin ist er für den Sportler noch die natürliche Variante zum Kunstrasen, der in Holland auch schon in den meisten Gärten Einzug gehalten hat. Immerhin sichern 250 m² Rasenfläche während der Vegetationszeit den täglichen Sauerstoffbedarf einer vierköpfigen Familie, bindet Staub und wirkt kühlend in den Quartieren und zwischen den Häusern als Brandschutz. Beim Hausverkauf soll ein topgepflegter Rasen bis zu 5 % höherer Preis erwirtschaften. Was ja wiederum die Theorie des Autors bestärkt. In diesem Sinne allen Rasenbesitzern: einen guten Start in die Rasensaison.
Tote Gärten mit sterilem Rasen, Steinwüsten und Thuja gefallen mir auch nicht. Aber wir leben ja in einer Demokratie, wo es jedem freisteht, ein paar Öko-Nischen zu gestalten. Irgendwie stört es mich andern vorzuschreiben, was sie im Garten haben. Das geht in Bern soweit, dass in einigen Quartieren Katzen Hausarrest haben. Rot-grüne Besserwisserei.
Die Gartenbesitzer haben eine Verantwortung gegenüber den Ortsbilder. Es würde eigentlich einen Konsens brauchen zur Vegetation. Störende Baumarten verschandeln die Quartiere wesentlich mehr als jede Bausünde. Zudem gibt es Regeln die einheimische Pflanzen vorschreiben. Allzu eng würde ich das nicht sehen und auch eine Magnolie oder einen Blumenhartriegel zwischendurch gelten lassen. Aber total störend sind Tannenbäume, Zypressen, Kirschlorbeer, usw. Man stelle sich vor wie harmonisch und beglückend einheitliche, blühende und Beerentragende Laubgehölze wirken würden und zwar in wesentlich höherer Anzahl als üblicher Weise. Es braucht dringend eine breite Reflektion zu diesem Thema. Die Gärten beeinflussen die Qualität des öffentlichen Raumes, also unsere Lebensräume.
@Luise: es gibt nirgendwo in der Schweiz einen behördlichen Hausarrest für Katzen. Es gibt zwar Leute, die so etwas fordern, aber durchgesetzt wurde das nirgends.
Interessant, dass man fordert: alle ein Solarpanel aufs Dach, dann ist das Energieproblem gelöst. Aber fast niemand fordert: lasst auf dem Rasen wuchern was kommt, dann gewinnen wir massenhaft vernetzte ökologisch hochwertige Kleinflächen.
Ich habe ein Drittel-Drittel-Drittel – Regel gefunden, die Gärten meiner Umgebung betrachtend: Ein Drittel bedeckt einen Teil des Gartens mit Beton, Decksteinen, Geröll, so dass nichts wächst: eine tote Wüste also. Das zweite Drittel hat einen Rasen perfekt gepflegt und geschnitten wie mit der Nagelschere. Auch eine Art Wüste also, eben eine grüne. Das vorbildliche Drittel hat einen grösseren Teil, der biologisch hochwertig ist. Ich selber habe statt Rasen wilde Matte (Wiese), selten geschnitten, Lebensraum vieler Mäuse, die mein Kater jagt.
Das eigene Kleinbad im Garten vor dem Haus ist für Kinder gefährlicher als eine geladene Pistole im Haus. Hat ein ‚Freakonomic‘ herausgefunden. Blödes gefährliches Zeug. Um richtig schwimmen zu können, braucht es mindestens 25 Meter, besser 50 m. Also ab ins kommunale Schwimmbad, dort trifft man auch Leute.
Ob sich auch mit der Geschichte erklären liesse, warum sich niemand einen schönen Baumbestand um das Haus wünscht? Das wäre nämlich das einzige was wirklich Atmosphäre schaffen würde. Aber es entspricht der Realität, dass das niemandem in den Sinn kommt und wirklich alle nur an Rasen und allenfalls an noch an Möbel und Blumen denken. Das ist das flächendeckende Problem in unseren Lebensräumen und Ortsbildern: einerseits die fehlende Bäume und andererseits die störenden Arten. Mit naturnahen, einheimischen Baumbeständen in unterschiedlichen Grössen würden unsere Orte extrem aufgewertet. Und unter den Laubwolken kann es dann soviel Rasen oder besser Blumenrasen geben, wie nur möglich. Wiese wäre auf jeden Fall auch ökologisch wertvoller als Steingärten.
Das frage ich mich auch, warum keine Bäume, es scheint, dass der Mensch nichts erträgt, das grösser ist als er selbst und ihn möglicherweise überdauert. Daher der Hang zu den Sträuchlein und Beeten, die regelmässig beschnitten werden. Wenn nicht überhaupt kahl, Rasenflächen sind ja auch kahl, versprechen Weite, zeigen aber meist nur die Beschränkung der paar qm, man sieht das Ende nur zu einfach. Selbst ein Fussballfeld ist übersichtlich, immerhin eine Hektare, man stelle sich das als Dschungel vor, man könnte sich verlaufen – und fände gar noch was zu essen – beim Rasen klappt das nur als Schaf oder Kaninchen. Daher: more trees less assholes. http://moretreeslessassholes.org/
Dürfte weitgehend an der Grundstückgrösse – oder besser Grundstückkleine – scheitern. Grenzabstände zu Nachbarn und öffentlichen Strassen müssen ja gewahrt sein. Und direkt am Haus geht auch selten gut…
Anzumerken ist: Rasen ist reine Bodengrafik. Erst ein Laubdach macht den Garten zum dreidimensionalen Raum. Die Raumwirkung schafft Geborgenheit.
Und wegen Grenzabständen: Es gibt auch kleinkronige Bäume wir Zwetschgen, Kornelkirschen, Weissdorn, Zierapfel. Die Schirmförmigen Hochstämme lassen den ganzen Bewegungsraum der Menschen offen. Wenn der Nachbar auch Bäume hat und man sich abspricht, braucht es keine Grenzabstände.
Ich hab bis von einiger Zeit in einem älteren Quartier gewohnt, wo es tatsächlich jede Menge grosser Bäume zwischen den Häusern gab, das war echt schön. Aber das waren natürlich Mehrfamilienhäuser mit Mietwohnungen. Warum das bei Einfamilienhäusern nicht geht? Ist doch sonnenklar, weil sich der Nachbar sofort beschwert, sobald der Baum etwas grösser wird und Schatten auf seinen wertvollen Rasen wirft. Wünschen würde es sich wahrscheinlich so mancher.
Stelle ich so nicht fest in kleineren Dörfern und sogar Städten. Bei mir in der Umgebung herrscht eher das umgekehrte Problem, dass einige Bäume, vor allem die weniger wertvollen nadeligen, zuviel Schatten werfen. In meinem Garten von 1000 m2 hat es 2 riesige Bäume (Birke und Fichte), 4 mittelgrosse (Föhre, Kirschbaum, 2 Apfelbäume) jede Menge an Büschen und Sträuchern. Die Gemeinden sollten nicht nur die Belastung durch Abwasser etc. besteuern, sondern die biologische Unwirtlichkeit. Unter Umständen bezahle mit ich für das Regenabwasser, das einige mit ihren versiegelten Böden verursachen.
Ja, die störenden Baumarten sind ein grosses Problem. Fichten, Zypressen und Schwarzkiefern stören die Ortsbilder. Laubbäume verbreiten eine ganz andere Atmosphäre.
Ich kein Häuschen, auch kein Abstandsgrün. Ich war lebenslang stolzer Mieter und frei. Auf der ganzen Welt.
Frei? Abhängigkeit vom Vermieter ist Freiheit?
das kann man so sehen. Andere mögliche Gründe für den Rasen ums Haus:
> Platz für’s Auge
> gemeindliche Bebauungsvorschriften (Ausnutzungsziffer)
Kleines Detail am Rande: diese Stadt in Peking ist nicht die Vergessene, sondern die Verbotene 😉
Selbstverständlich! Vielen Dank – wurde natürlich sofort geändert.
Interessante Betrachtungen. Ich selber bräuchte keinen Rasen, diese blöde Mäherei macht mir keinen Spass und ist für Unbeteiligte eine ärgerliche Lärmbelästigung. An einem früheren Wohnort hat der Abwart einen Teil des Rasens als Magerwiese abgetrennt. Das war viel schöner als die Rasenfläche und man konnte allerlei Schmetterlinge beobachten. Sollte ich es mir jemals leisten können, wäre mein Traum so etwas, das der berühmte „Wild Gardener“ William Robinson mit Gravetye Manor schuf, also etwas das aussieht wie Wildnis, in Wirklichkeit aber konzeptionell angelegt wurde. Viel Arbeit, aber das Resultat finde ich wunderwunderwunderschön. Allerdings hat man da mittlerweile auch schon Konzessionen an den Rasen gemacht, weil es heute ein Hotel ist. Tja, und nicht mal das könnte ich mir leisten.
Heute und in Zukunft wird das der Pool sein. Der Swimming Pool.
Das Extravaganteste im
Moment ist der Einbau eines beheizten Pools – wenn dann mit Sprudel – in den Wintergarten eines EFHs.
Macht irgendwie Sinn in unserem Klima. Wenn schon Pool, dann so. Und das wird mit der Überbaungsziffer und Nutzungsziffer abgedeckt. Und die Poolparty meines Nachbarn wäre erst noch etwas ruhiger dadurch.