Mehr als nur Heilige oder Hure

Gefallen, reuig und attraktiv: So sieht Alexander Andreyevich Ivanov 1835 seine Magdalena. Foto: Wikicommons

Ein neuer Sandalenfilm läuft in den Kinos. Doch dieses Mal stilisiert Hollywood keinen kampfeslustigen Trojaner oder bärtig-blauäugigen Jesus zum Helden. Protagonistin des Films ist die neben der Jungfrau Maria wohl bekannteste weibliche Gestalt der Bibel: Maria Magdalena. So heisst auch der Film.

Tizian, «Büssende Maria Magdalena», ca. 1533. Bild: The Yorck Project (Wikimedia Commons)

Ist sie, wie im Markus-Evangelium steht, die erste Frau des neuen Glaubens und die wichtigste Zeugin der Kreuzigung? Oder ist sie, wie der Renaissance-Maler Tizian sie darstellt, eine hocherotische Sünderin, reuevoll mit nacktem Oberkörper gen Himmel blickend, die Scham einzig bedeckt von ihrem rotblond wallenden Haar? Oder eine geläuterte Hure, wie die Kirchenväter sie propagieren?

Wir wissen es nicht, die historischen Quellen schweigen. Es gibt weder Lebensbeschreibungen noch biografische Daten, geschweige denn bildliche Darstellungen oder autobiografische Aufzeichnungen, die uns Aufschluss über die geheimnisumwitterte Frau aus Magdala am See Genezareth gäben. Wir können uns allein auf das Neue Testament stützen, ferner auf die apokryphen Texte, also jene religiösen Schriften, die meist ein paar Jahrhunderte später entstanden und von der Kirche nicht in den biblischen Kanon aufgenommen wurden.

Verkünderin der Osterbotschaft

Doch all das sind theologische Dokumente, entstanden lange nach Jesus’ Tod und verfasst in der Absicht, den neuen, noch unterdrückten Glauben zu verkünden, der Erlösung und ewiges Leben versprach. In Gleichnissen und voller Symbolik erzählen sie uns nicht, wer Maria von Magdala gewesen sein könnte, sondern sie geben die Haltungen und Überzeugungen ihrer Autoren wieder. Sie vermitteln eine heute schwierig zu entschlüsselnde Innensicht der Glaubensbewegung, die sich auf den charismatischen Propheten Jesus berief.

Den Evangelien und noch mehr den apokryphen Texten ist zu entnehmen, dass die Frauen – entgegen dem damaligen Patriarchalismus – in der urchristlichen Bewegung eine wichtige Rolle spielten. Wenn wir dem Evangelisten Markus glauben, findet Maria Magdalena nach der Auferstehung als Erste Jesus’ leeres Grab. Jesus erscheint ihr noch vor den Aposteln. Deswegen fällt ihr die ehrenwerte Aufgabe zu, die Osterbotschaft zu verkünden.

Nicht nur die erste Apostelin

Eine Frau mit einer theologisch bedeutsamen Funktion – für den Vatikan war das lange unvorstellbar. Die Kirche deklassierte Maria Magdalena. Aber diese liess sich nicht unterkriegen, tauchte immer wieder auf, wurde gar heiliggesprochen. Allerdings musste und muss sie dafür einen Preis bezahlen. Sie ist zu einem Zerrbild verkommen: die gefallene, bereuende, unverwüstlich attraktive Hure.

Carlo Crivelli, Maria Magdalena, Altarausschnitt, ca. 1480. (Bild: Wikimedia Commons)

Männern dient sie während Jahrhunderten zur Befriedigung und Anstachelung ihrer erotischen Fantasien, wie zahllose Malereien zeigen. Die Unterhaltungsindustrie vergnügt sich mit ihr, Dan Brown lässt sie in seinem Roman «Sakrileg» gar ein Kind mit Jesus zeugen. Heute berufen sich feministische Theologinnen auf sie, um den – überfälligen – Anspruch der Frauen auf die Ordination in der katholischen Kirche durchzusetzen: Maria Magdalena sei nicht nur die erste, sondern die wichtigste Apostelin Jesu gewesen.

Die Kirche hat sich dieser Sichtweise angenähert: 2016 hat Papst Franziskus die Feier zu Maria Magdalenas Gedenken aufgewertet und diese in denselben Rang wie die Apostel erhoben. Der Entscheid, so die Erklärung, stehe «im aktuellen kirchlichen Kontext, der nach einer tieferen Reflexion über die Würde der Frau verlangt». Dennoch: Bis sie an die würdevolle Position eines Petrus herankommt, wird es wohl noch lange dauern.

Maria aus Magdala: Nun schreitet sie also reanimiert über die Leinwand, einmal mehr in einer Sonderrolle. Wahrscheinlich hat sie es satt, als allgemeine Projektionsfläche zu dienen, sondern hätte einfach gern endlich mal ihre Ruhe.

Trailer: «Mary Magdalene», 2018, mit Rooney Mara und Joaquin Phoenix.

4 Kommentare zu «Mehr als nur Heilige oder Hure»

  • Monique Schweizer sagt:

    Wir haben in der Schweiz unsere eigene Magdalena (Martullo-Blocher)!
    Es wird bekanntlich aktuell spekuliert, ob sie mal Bundesrätin wird.
    Ob als Heilige, die die Schweiz „retten“ soll, wie das in Herrliberg so angedacht wird oder eben doch nur als Hure des Grosskapitals, wird unsere Geschichtsschreiber dann wohl auch noch dereinst beschäftigen.

  • Ahn Toan sagt:

    Eine geläuterte Hure wird Mutter und erfüllt damit die Rolle der Frau, welcher das Christentum höchste Achtung entgegenbringt.

  • Gerhard Engler sagt:

    Frau Janett, sprechen Sie hier als Historikerin oder als Gläubige? Aus historischer Sicht muss gesagt werden, dass es keine glaubwürdige Quelle für die Person von Maria Magdalena gibt. Und erst recht nicht für etwas, das sie gesagt und getan haben soll. Aus religiöser Sicht kann man sich durchaus alles mögliche zu dieser Person vorstellen und ausmalen. Und das soll jeder und jede so tun wie es ihm/ihr beliebt. Eine wissenschaftliche Diskussion darüber erübrigt sich.

    • G. Brand sagt:

      Die Phantasie der Bibelschreiber und Kirchenväter kannte keine Grenzen, schliesslich war Jesus Jude. Er wollte weder einen neuen Glauben, noch eine neue Kirche und er kann deshalb ganz sicher auch nicht gewollt haben, dass diese Kirche seine Glaubensbrüder Jahrtausende lang verfolgt.
      Übrigens auch Luther wollte nur die Zustände in der bestehenden Kirche anprangern. Spalten wollte er sie nicht.
      Offenbar interessiert niemanden, was Jesus und Luther tatsächlich wollten, sondern nur, wie man sie und alle Nebenfiguren für Eigeninteressen instrumentalisieren kann.

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