Die Wahrheit über den Samichlaus

Das ist er, der Ur-Samichlaus. Aber wo liegen die Gebeine des Heiligen Nikolaus? Foto: PD

Hier liegt er, sagen die Bewohner von Bari: Die Basilika des Sankt Nikolaus. Foto: Wikipedia

Eigentlich war Sankt Nikolaus längst über alle Berge, seit tausend Jahren schon. Im Mai 1087 fielen italienische Seefahrer in die Stadt Myra ein und stahlen die Gebeine des Heiligen aus seiner Gruft. Um die geklauten Knochen gebührend zu ehren, errichteten die Stadtväter in Bari bald darauf eine prachtvolle Basilika. Und dort wird nun jedes Jahr am Namenstag von Nikolaus, dem 6. Dezember, eine grosse Messe gefeiert, zu der Gläubige selbst aus fernen orthodoxen Ländern anreisen.

Nein, hier liegt er, antworten die Venezianer: Die Chiesa di San Nicolò. Foto: Wikipedia

Es ist allerdings nicht unumstritten, ob im Marmorsarkophag von Bari tatsächlich der Heilige Nicolò liegt. Die Venezianer behaupten nämlich genau dasselbe: Es seien ihre Seeleute gewesen, die den Nikolaus aus Myra entführt hätten, und zwar nach dem ersten Kreuzzug im Jahr 1099. Und so errichtete schliesslich auch der Stadtstaat Venedig ihm eine Spezialkirche, San Nicolò, und er ernannte den ehemaligen Bischof von Myra zum Schutzheiligen seiner Flotte.

Es gibt wenig zu bewundern

No, Sir, Nicholas liegt in der Church of St Nicholas in Jerpoint in Kilkenny County, sagen die Iren. Foto: PD

Allerdings lassen die eleganten Bauten der Italiener ein anderes Volk grosser Geschichtenerzähler kühl: die Iren. Die nämlich beanspruchen die Gebeine des Heiligen ebenso, und sie haben fast dieselbe Story. Auch da sollen es Kreuzfahrer gewesen sein, die ums Jahr 1100 die Reliquien ins Land brachten. Die Gebeine, so erzählt man sich dieser Tage wieder in den Pubs von Tipperary oder Limerick, liegen in einer verfallenen Kirche im County Kilkenny.

Mit dem Leichenkult liesse sich schön festmachen, wie Mythen selbstständig werden, und die Ansprüche auf die Knochen belegen, was dieser Nikolaus in der Geisteswelt bis heute bedeutet. Denn im Grunde gäbe es da wenig zu bewundern: Man weiss nichts über den Mann. Man hat fast keine Quellen aus seiner Zeit, Bilder schon gar nicht. Geboren um 270 nach Christus im Osten des Römischen Reichs, Bischof der Stadt Myra, die heute Demre heisst und in der türkischen Provinz Antalya liegt: So viel ist gewiss. Auch soll Nikolaus tatsächlich sein Geld den Armen vermacht haben.

Vom Samichlaus zum Amichlaus

Doch die frühsten Dokumente über ihn tauchen Jahrzehnte nach seinem Tod auf, sie berichten kurz von irgendeinem theologischen Streit des Bischofs; die ersten grösseren Berichte erscheinen sogar erst ums Jahr 700, und da ist der Lebenslauf schon umrankt von wildesten Fabelgeschichten. Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Heilige dann vollends vergraben unter Legenden, bei denen ein Muster vorherrscht: Der Bischof hat diskret andere beschenkt. Und diese Legenden führten wiederum dazu, dass die Figur stetig neu gestaltet wurde.

So läuft es bis heute. Derzeit können wir verfolgen, wie der traditionelle Samichlaus mit Bischofsstab und Esel verdrängt wird vom Amichlaus mit Stiefeln und Rentierkutsche, «ho, ho, ho!». Jedes Jahr ein Stückchen mehr.

Die Kirche unter der Kirche

Aber darunter wurde der Heilige zum Archetyp: In den Nikolaus-Legenden entstand das Urbild eines hochrangigen Menschen, der nicht auf Arme herabschaut, sondern ihnen etwas von seinem Reichtum zukommen lässt – und zwar heimlich, also in aller Bescheidenheit. Dieser mitmenschliche Zug macht die Figur so attraktiv, über alle Zeiten, Kulturen und Religionen hinweg.

Und so überrascht uns wohl eine Meldung wenig, die soeben aus der Türkei eintraf: Unter der Nikolaus-Kirche von Demre – also jenem Gotteshaus, das die Kreuzzügler im 11. Jahrhundert geplündert haben sollen – fanden Archäologen jetzt eine weitere Ebene. Radar- und Computertomografie-Scans zeigten, dass hier noch eine ältere Kirche liegt, inklusive Sarkophag.

Unter der Kirche in Demre soll eine andere liegen, in der nun der wirkliche Heilige Nikolaus liegt. Foto: DHA-Depo Photos, AP, Keystone

Wie Cemil Karabayram, der oberste Denkmalschützer der Provinz Antalya, gegenüber «Hürriyet» sagte, passe dieser Fund zu dem, was die alten Quellen besagen: Die heutige Kirche wurde auf einer älteren gebaut – und zwar errichteten die Bewohner von Myra diesen Neubau just in der Zeit, als die Kreuzzügler einfielen.

Gruften unter Mosaik

Die türkischen Archäologen vermuten, dass die Italiener die Gebeine eines anderen Priesters mitlaufen liessen, der erst Jahre nach Nikolaus lebte.

Bis das geklärt ist, wird es noch einige Monate dauern: Die verschwundene Kirche und ihre Gruften liegen unter einem wertvollen Mosaikboden, der erst in einem vorsichtigen Prozess abgetragen werden soll. Gut möglich aber, dass bald schon vier Nikolaus-Gräber in drei verschiedenen Staaten verehrt werden.

4 Kommentare zu «Die Wahrheit über den Samichlaus»

  • Samichlaus sagt:

    Guter Artikel. Die Aussage mit dem «Amichlaus» stimmt allerdings nicht. Der «Amichlaus» konnte sich in der Schweiz ebenso wenig durchsetzen wie Halloween. Während Schmutzli und ich vor ein paar Jahren noch bei vielen Besuchen den Unterschied zwischen Weihnachtsmann und Samichlaus erklären mussten, kommt das heute praktisch nicht mehr vor.

  • Daniel Moser sagt:

    Besten Dank für die gute Darstellung! Zu ergänzen wäre noch, dass der Sankt Nikolaus natürlich europaweit (und darüber hinaus) ein sehr beliebter Heiliger war und ist. Es gibt viele Darstellungen des Heiligen, so beispielsweise in Giornico. Dort ist auch das Bild zu finden, auf dem Nikolaus zwei Mädchen mit Goldkugeln beschenkt. Nach der Legende verarmte ihr Vater und wollte die Mädchen in die Prostitution schicken, da griff eben der Heilige mit seinen Geschenken ein. Leider wurde Nikolaus nicht Fürsorgedirektor im Kanton Bern.

  • Christian König sagt:

    Und was ist denn mit Rovaniemi, Finnland?
    Zum dortigen Santa Claus Park fliegen Charter aus Rom und London… ua zum betühmten Post Office. Historischer Hintergrund?

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