«Wenn man ihn machen liesse, hätten wir jede Woche einen Atomkrieg»

Ausbügeln, was der US-Präsident befohlen hat: Richard Nixon und sein oberster Sicherheitsberater Henry Kissinger 1972. Foto: Ron Frehm (AP, Keystone)
Falls Sie sich sorgen, dass der amerikanische Präsident einmal im Zustand der Umnachtung einen Atomangriff auf Nordkorea befiehlt, dann sollten Sie wissen: Es ist bereits geschehen.
Und zwar war das im April 1969. Damals gelang es der Luftwaffe des Diktators Kim Il-sung, ein Überwachungsflugzeug der Amerikaner abzuschiessen. Die Lockheed EC-121 hatte knapp 100 Meilen vor der koreanischen Küste Aufzeichnungen gemacht – sie befand sich also in internationalen Gewässern, war unbewaffnet, und beim Angriff zweier nordkoreanischer Mig-21-Jets fanden 31 Soldaten den Tod.
Wenige Stunden später bestückten Air-Force-Techniker in Kunsan, Südkorea, eine Staffel Phantom-Jagdbomber mit Atomgefechtsköpfen. Die Piloten mussten sich beim Basiskommandanten melden. Sie erhielten die Daten für ein zugewiesenes Angriffsziel und die Order, sich startklar zu machen. Washington hatte den Befehl erteilt, die Nuklearwaffen auf Standby zu setzen.
Lieber Atomwaffen als ein zweites Vietnam
Was war geschehen? Heute, Jahrzehnte später, wissen wir es genauer. Präsident Richard Nixon hatte bereits den Angriff befohlen. Im Vorjahr hatte der amerikanische Generalstab einen Krisenablauf entwickelt mit Szenarien, die man bei einer Provokation von Nordkorea abspulen könnte. Der Name des Plans: Freedom Drop. Eine mögliche Reaktion war darin ein massiver Angriff auf ein Dutzend ausgewählte militärische Einrichtungen, wobei jeweils eine taktische Atombombe bis maximal 10 Kilotonnen eingesetzt werden würde. Eine noch drastischere Variante sah sogar den Einsatz grösserer A-Bomben vor, die über allen Flugplätzen und -feldern Nordkoreas gezündet werden würden. Sie sollten jegliche Möglichkeit zur weiteren Kriegsführung zertrümmern.
Von heute und fern betrachtet, wirken solche Absichten recht durchgeknallt. Doch die Strategen wussten eben auch, dass jeder Konflikt in Nordkorea direkt in einen ausgewachsenen «normalen» Krieg führen würde, mit barbarischen, langwierigen und völlig unberechenbaren Folgen. Die Nuklear-Option dagegen – so die Idee – liesse das nordkoreanische System sofort zusammenbrechen. Dass die amerikanische Regierung, gefesselt in ihrem dreckigen, zähen Vietnamkrieg, mit solchen Optionen ernsthaft spielte: Es lässt sich von daher deuten.
«Was morgen ist, weiss ich nicht»
Im April 1969 trafen dann mehrere heikle Faktoren aufeinander: Die Blaupausen von Freedom Drop lagen in der Schublade. Die Attacke vor der koreanischen Küste war wuterregend. Und am Abend danach war Richard Nixon betrunken. Im Suff befahl der Präsident einen Atomschlag auf Nordkorea. Es gibt keine offiziellen Dokumente dazu, aber sowohl der Historiker Anthony Summers als auch der Journalist Seymour Hersh erfuhren die Episode von Beteiligten. Laut dem Vietnamspezialisten der CIA, George Carver, befahl Nixon einen taktischen Nuklearschlag und verlangte von den Joint Chiefs of Staff, dass ihm eine Auswahl von Zielen in Nordkorea vorgelegt werde. Bevor etwas geschehen konnte, schaltete sich Henry Kissinger ein, der oberste Sicherheitsberater, und organisierte eine Telefonkonferenz mit den Generälen. Man beschloss, erst einmal zuzuwarten, bis der Präsident ausgeschlafen hat.
Genau dieser Ablauf hallte nach auf der Kunsan Air Base, über 10’000 Kilometer weiter im Osten. Nach einigen Stunden des Wartens sagte der Kommandant zu den «Phantom»-Piloten: «Laut meinen Informationen werden wir das heute nicht mehr machen. Was morgen ist, weiss ich nicht.» Tags darauf wurde der Standby-Befehl zurückgezogen (der Bericht eines Piloten findet sich hier).
Was lehrt uns das?
Es wäre unfair, Richard Nixon einfach als Säufer darzustellen; er gehörte einfach zu jenen Menschen, bei denen schon wenig Alkohol zu einem starken Kontrollverlust und zu Zanksucht führt. Henry Kissinger soll später einmal zu einigen Mitarbeitern gesagt haben: «Wenn man den Präsidenten machen liesse, dann hätten wir jede Woche einen Atomkrieg.»
Ob uns diese Geschichte heute beruhigen kann? Sie lehrt jedenfalls, dass man den Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht einfach machen lässt.
Oder muss sie uns eher alarmieren? Henry Kissinger lieferte eine finstere Erklärung, weshalb überhaupt Planspiele wie Freedom Drop gewälzt wurden: Egal, welche Provokationen sich die Nordkoreaner ausdenken würden – den Amerikanern blieben eigentlich immer nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie waren zum Nichtstun verdammt, oder aber sie mussten direkt jene Option wählen, «die am extremen Ende der Möglichkeiten» liegt. Wir können es derzeit fast live beobachten: In dieser Analyse steckt immer noch viel Wahrheit.
- Bericht des National Security Archive, veröffentlicht 2010.
- Anthony Summers: «The Arrogance of Power, The Secret World of Richard Nixon», 2001.
- Seymour Hersh: «The Price of Power: Kissinger in the Nixon White House», 1983.
21 Kommentare zu ««Wenn man ihn machen liesse, hätten wir jede Woche einen Atomkrieg»»
Da an anderer Stelle in History Reloaded die alternative Geschichtsschreibung (bzw. deren Dropout für die Unterhaltungsindustrie) besprochen wurde, möchte ich hier was Anderes zu bedenken geben:
1. Wo immer heutzutage an die erfolgten A-Bombeneinsätze erinnert wird, umweht sie ausschliesslich der Ruch des sinnlosen Massenmordes.
Es sei darauf hingewiesen, dass vor einigen Jahren ein japansicher Minister (oder wars der stellvertretende Verteidigungsminister?) zurücktreten musste, weil er dieses offizielle Credo – ausgerechnet von der Opfer-Nation Japan – in Frage stellte und klar aussprach, dass die beiden Abwürfe, selbst mit den Toten der Spätfolgen, gewiss weniger Menschenleben gekostet hätten, als eine Fortsetzung des Krieges. Also, so pervers das auch klingen mag,
insgesamt ein Vielfaches an amerikanischen UND japanischen Menschenleben durch den Einsatz gerettet wurden.
2. General MacArthur den Einsatz der Atombombe bereits während des Koreakrieges gegen die Chinesen gefordert hatte, was ihm vom Präsidenten Truman verwehrt wurde. Dies zu einem Zeitpunkt, zu dem der Grosspapa des jetzigen „Grossen Führers“ militärisch erledigt gewesen wäre, ohne die Einmischung der Chinesen, welche Retter in höchster Not spielten.
Was wäre passiert, wenn MacArthur sie hätte einsetzen dürfen?
Er durfte nicht. Der Krieg ging monatelang weiter, der ganze Norden wurde – durch die Chinesen – wieder von den Kommunisten erobert, Tausende Koreaner, Chinesen, Amerikaner und UN-Verbündete starben einen Tod, der insofern sinnlos war, als dass
zum Schluss der ganze, bereits zurückeroberte Norden wieder verloren war, wo sich ein Regime einnistete, welches heute einen irren, sein Volk brutalst unterdrückenden Enkel mit Atomraketen spielen lässt, der seine rechtschaffenden Nachbarn (und selbst die „verbündeten“ Chinesen) in seinem Wahnsinn bedroht.
Was ist also „richtig“; was ist „falsch“?
Was ist „gut“ und was ist „schlecht“?
… Nicht zu vergessen, dass dies auch VOR dem Vietnamkrieg geschehen wäre, der ohne die logistische Unterstützung über China ebenfalls nicht denkbar gewesen wäre.
Ja: Was wäre wenn?!
Zum Glück war Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow 1983 nicht betrunken (was ja bei einem Russen damals zumindest vermutlich eher der Ausnahmefall war) sonst hätte es wirklich noch einen Atomkrieg gegeben und der wäre dann vermutlich noch einiges verheerender ausgefallen als 1969 in NK…
Ein wahrer Held, an den viel zu wenig erinnert wird.
… Und dem seine Befehlsverweigerung schlecht gedankt wurde.
Um die Sache zu entschärfen und weil Trump schon einen IQ Vergleich mit Tillerson vorgeschlagen hat, schlage ich vor: Trump und Kim machen einen Schnäbivergleich unter internationaler Aufsicht: Dann wissen alle, wer den Grösseren hat und es kann endlich angefangen werden, nach Lösungen zu suchen.
Es ist idiotisch sich vorzustellen, dass Donald Trump einen atomaren Erstschlag gegen Nordkorea befiehlt. Ueberhaupt sollte auch niemand einen militärischn Präventivschlag ausführen, aber harte Sanktionen.
Sollte aber dieser Psychopath Kim eine Rakete mit Ziel Südkorea, Japan oder die USA loslassen, dann muss die Antwort gegen Nordkorea militärisch rasch und gnadenlos erfolgen. Sollte ein solcher Erstschlag Kims sogar nuklear erfolgen, ist Nordkorea auszulöschen. Das ist keine Provokation sondern klare Konsequenz welche jedes Land und jede Regierung einsehen muss.
@Roland K. Moser: Ihren Kommentar können Sie nicht ernst meinen. Was genau zählen Sie zu den psychopathischen Zügen haben Sie denn bei Obama? Bildung? Vernünftige Umgangsformen? Ein normales Familienumfeld? Stabile Emotionen? Nachvollziehbare politische Entscheidungen? Oder müssen Sie soetwas sagen, nur weil er nicht weiss ist?
Obama war ja wohl der Blockierte gegen republikanische Mehrheiten im Kongress. Trotzdem hat er es geschafft, dass die amerikanische Wirtschaft die Finanzkrise überwunden hat, und er hat den Leuten eine Krankenversicherung gegeben.
Trump schafft absolut nichts, obwohl seine Partei die Mehrheiten im Senat und im Repräsentantenhaus hat. Weil er sich nur um sein eigenes Ego und das Vermögen seiner Familie kümmert und von den eigentlichen Problemen ablenkt.
Offiziell hat der Amerikanische President die absolute Macht einen Atomschlag zu veranlassen und dies ohne jegliche Zustimmung Seiner Berater oder der Militärs. Unter Nixon ist damals nur nichts geschehen, weil man die Befehle nicht ausgeführt hat (beziehungsweise herausgezögert hat). Strenggenommen hat sein Stab Illegal gehandelt als sie den Befehl nicht ausführten. Ob heute in der Befehlskette jemand auch wieder einen Atomschlag verhindern würde ist reine Spekulation! Ich hoffe der Psychopath wird sehr bald abgesetzt!
ich stelle mir die Frage, ob sich Trump tatsächlich provozieren lässt. Und wenn ja, warum? Braucht die Rüstungsindustrie wieder ein Konjunktur-Programm, also einen (weiteren) Krieg?
Ich finde es extrem schade, dass Trump sein Wahlversprechen, keine Kriege mehr im Ausland zu führen, nicht einlöst.
Es wäre nicht das ersteund nicht das letzte Wahlversprechen, das er nicht einlöst. Und es ist, wie es schon öfter war: ein Krieg im Ausland lenkt von den Problemen im Inland ab und schweisst die Volksseele kurzfristig wieder zusammen. Deshlab hat Trump auch nicht lange gewartet nach dem Amtsantritt und hat mit dem Säbelrasseln begonnen. Jeder, der etwas anderes erwartet hat, ist naiv – sorry.
Das Trump seine Versprechen aus dem Wahlkampf nicht einlösen würde, war schon vor Beginn des Wahlkampfs klar. Studieren sie einmal die Biografie dieses Psychopathen.
Kann es sein, dass Donald Trump mit diesem Versprechen gedacht hat nicht militärisch zu antworten, falls dieser Kim einen Erstschlag gegen Südkorea, Japan oder die USA ausführt. Trump hat dieses Problem geerbt, da ein unfähiger vor ihm Nordkorea atomar aufbauen liess.
Der vor ihm war der grössere Psychopath. Alles wird besser.
Und die Wahlversprechen kann er nicht einlösen, weil er blockiert wird.
Analphabetismus blockiert viele Menschen weltweit.
Die meisten davon, haben allerdings tatsächlich nicht einmal die Chance gehabt Lesen und Schreiben zu lernen.
Das kann man vom POTUS nun wirklich nicht behaupten!
Wenn Staaten, welche nur Gewalt kennen, mal in den Besitz einsatzfähiger Atomwaffen gelangen, werden deren Führungszirkel kaum so zimperlich und schwach sein, wie die westliche Welt heute, daher gilt es, denen zuvorzukommen.
Wenn Sie Israel mit „Staaten, welche nur Gewalt kennen“ auch meinen, bin ich mit Ihnen einverstanden. Andernfalls sehe ich Ihren Kommentar als einseitig politisch motiviert.
Im übrigen sehe ich auch nicht ein, wieso die Kriegsgurgeln GB und F Atomwaffen haben „dürfen“, vom Russen und Ami ganz zu schweigen.
Angriffspläne lagen bereit, keine „Blaupausen“. Falls noch weitere, weniger offensichtliche Übersetzungsfehler vorhanden sind, ist der Artikel wertlos oder gar sinnentstellend.
Ich kenne den Originaltext nicht – sollte dort das Wort „blueprints“ stehen, würde ich es einfach mit dem neutralen Begriff „Pläne“ übersetzen (der Zusatz „Angriff“, obwohl in der Sache wohl zutreffend, würde dann definitiv nicht dem Original entsprechen). – „Blaupausen“ ist sicher eine unglückliche Übersetzung, aber „sinnentstellend“? Ich habe den Artikel jedenfalls trotzdem verstanden.
Das englische Wort «Blueprint» ist sehr mehrdeutig. Aber die Links zu den Originalinformationen sind ja am Schluss aufgeführt.