Indien und Pakistan: Sturzgeburt zweier Nationen

Indische und pakistanische Soldaten tanzen bei einer Zeremonie an der gemeinsamen Grenze. Nicht immer ist das Aufeinandertreffen so friedlich. Foto: Elizabeth Dalziel (AP Photo, Keystone)
Eine unüberschaubare Menschenmenge jubelt in den Strassen von Delhi. Berittene demonstrieren mit stramm erhobenen Fahnen stolz die neue Staatsmacht. «Hunderttausende feiern auf der Strasse», kommentiert ein BBC-Reporter aus der neuen Hauptstadt trocken, «am Horizont bildet sich im Monsun ein Regenbogen, ein Zeichen der Hoffnung für das neue Land». Es ist der 15. August 1947, der Unabhängigkeitstag Indiens – oder des Rumpfstaats, der übrig geblieben war.
Vor 70 Jahren wurde die britische Kolonie Indien aufgeteilt in einen selbstständigen hinduistischen und einen muslimischen Staat. Die Euphorie dauert nur kurz, denn fast umgehend brechen Kämpfe aus. Der indisch-pakistanische Konflikt, der nun einsetzt und bis heute modert, belegt exemplarisch, wie schwierig religiös befeuerte Auseinandersetzungen politisch zu lösen sind.
Glaubten sie ihren eigenen Aussagen?
Die beiden politischen Führer, der Inder Jawaharlal Nehru und der Pakistani Mohammed Ali Jinnah, versichern an diesem 15. August noch in nüchternen Radioansprachen die friedfertigen Absichten ihrer Staatswesen – unterschiedliche Religionen hin oder her. Hauptsache, dass die verhassten Kolonialherren endlich weg sind.

Friedliche Absichten: Mohammed Ali Jinnah und Mahatma Gandhi (rechts). (Bild: Wikimedia Commons)
Dabei war es bereits im 18. und 19. Jahrhundert regelmässig zu bewaffneten Konflikten zwischen den einheimischen Ethnien und ihren unterschiedlichen Religionsanhängern gekommen: Sie bekämpften sich gegenseitig – und die Briten obendrein. In der Folge entfremdete sich die «Dominion», das Herrschaftsgebiet, immer mehr vom Mutterland Grossbritannien. Parallel dazu vertieften sich die Gräben in der indischen Gesellschaft, politische und religiöse Ansprüche wurden zusehends unentwirrbar.
Es ist offen, ob Nehru und Jinnah ihre optimistischen Aussagen am Unabhängigkeitstag selber glaubten. Jedenfalls hatte der letzte britische Vizekönig, Lord Louis Mountbatten, noch vor seinem Amtsantritt im März 1947 eine kriegerische Katastrophe prophezeit. Dem Pazifismus des nationalistischen Revolutionärs Mohandas Karamchand Gandhi traute Mountbatten nicht über den Weg.
Tatsächlich hielt der Friede nach der Unabhängigkeit gerade zwei Monate lang. Im Oktober des gleichen Jahres brach der erste Krieg um das Kaschmir-Tal aus, denn die Briten hatten diese Region Indien zugeschlagen. Kaschmirs lokale politische Führung war zwar hinduistisch, aber die Muslime bildeten die Bevölkerungsmehrheit.
Horrende Flüchtlingsströme
Gleichzeitig quälten sich horrende Flüchtlingsströme durch den Subkontinent: Indische Muslime suchten in Pakistan Sicherheit, pakistanische Hindus zog es nach Indien – das Chaos war mit Abertausenden Toten fürchterlich; die genaue Zahl kennt niemand. Schätzungen der BBC sprechen von einer halben Million Toten und 12 Millionen Flüchtlingen.
Faktisch herrschte während Monaten in weiten Teilen von Pakistan wie Indien Rechtlosigkeit. Im Namen der Religion war alles erlaubt. Die Flüchtlingsströme hielten jahrelang an, weil es in beiden Ländern immer wieder zu Pogromen gegen die Minderheiten kam. Wer mit der falschen Religion in seiner Heimat blieb, wurde enteignet. Noch heute leiden die Nachfahren der Opfer unter den damaligen Verbrechen.
Der Krieg endete im Patt, das Patt blieb bis heute
Der erste Kaschmir-Krieg endete nach mehr als einem Jahr mit einem Patt. Dieser Disput blieb ebenso ungelöst wie die zahlreichen Grenzzwistigkeiten zwischen den beiden Ländern, denn die Briten zogen die Grenzen zwischen den beiden Ländern – wie in den ehemaligen afrikanischen Kolonien – willkürlich. 1971 kam, was kommen musste: Die beiden geografisch 1500 Kilometer entfernten Teile Pakistans teilten sich nach einem neuerlichen Bürgerkrieg in zwei eigenständige Staaten, das heutige Pakistan und Bangladesh. Der Subkontinent war nun in drei Staaten aufgestückelt.
Der Kaschmir-Konflikt dräut nach drei weiteren Kriegen bis heute. Die Fronten sind unübersichtlicher denn je. Neben indischen und pakistanischen Armeeeinheiten bekämpfen einander zahlreiche unterschiedliche muslimische Fraktionen und die indisch-hinduistische Staatsmacht. Die einen wollen den Status quo erhalten, andere den Anschluss an Pakistan, wiederum andere die Selbstständigkeit. In jedem Fall ziehen die Streitparteien eine scheinbare religiöse Legitimation für ihre politischen Ansprüche heran.
Das Verhältnis zwischen Indien und Pakistan bleibt prekär, und beide Nationen verfügen über Nuklearwaffen. Kommt dazu, dass in Indien derzeit eine hinduistische Partei die Regierung stellt, und die Diskriminierung der verbliebenen Muslime aktiv fördert. Beim Gegenspieler Pakistan sind die Verhältnisse nach einer Anklageerhebung gegen den Ministerpräsidenten wegen Korruption gewohnt gespannt, weite Teile des Landes haben sich politisch der Staatsmacht in Islamabad entzogen.
- «The Partition of India»: Grosse multimediale BBC-Produktion zur indischen Unabhängigkeit
14 Kommentare zu «Indien und Pakistan: Sturzgeburt zweier Nationen»
Ich fürchte Frau „Yvonne“ unterliegt da irgend einem anti-britischen Reflex. Die Trennung des ehemaligen Britisch Indiens in zwei Staaten war auf eine Forderung von Muhammad Ali Jinnah zurückzuführen. Anfangs war er ein Mitglied des Indischen Naitonalkongresses. Die Welt hat eine Islamische Republik Pakistan ebensowenig verdient wie zwei kommunistische Familiendiktaturen in Korea oder Kuba. Mit Churchill hat alles alles überhaupt nichts zu tun.
Man hätte noch die Fortsetzung der Geschichte mit Bangladesch schreiben können.
Ein wenig verkürzte Darstellung der Geschichte dieser beiden „Staaten“, welche beide aus dutzenden oder sogar hunderten von Ethinien (Nationen) und Religionsgruppen bestehen. Und Grossbritannien als ‚Mutterland‘ von Indien, Pakistan oder Bangladesch zu bezeichnen ist ein wenig seltsam. Die Briten waren auf dem Indischen Subkontinent einfach Okkupanten, welche nur deshalb akzeptiert wurden, weil sie das Kastensystem für ihre Zwecke nutzten und sich als British Raj an die Spitze setzten. Neben Pakistan und Indien gibt es auch noch Bangladesch (ehemals West Pakistan genannt) – auch ein Grund für Konflikte zwischen Pakistan und Indien.
Wohl hat Großbritannien den indischen Subkontinent erobert, aber die Eroberung hat Indien selbst finanziert. Indische Geschäftsleute waren begierig den Briten für ihre Armee Geld zu leihen, den eine bessere Anlage gab es nicht.
Es gab schon vorher Reiche, die den indischen Subkontinent beherrschten (Mogulen). Ethnien sind nicht so bedeutend wie die Religionen, nämlich die der Hindus und der Moslems.
Indien hat nun einmal das Pech, dass es gerade die beiden Glaubensrichtungen hat, die am intolerantesten sind von allen großen Religionen und die blutige Gewalt am häufigsten institutionalisiert haben.
Trotzdem ist Indien von der Technologie her jedem moslemischen Staat voraus, aber dank dem berüchtigten indischen Dünkel können sie es nicht voll umsetzen.
Sorry, hier wollte ich den Kommentar anbringen, bei Herrn Fehr:
Bangladesh = East Pakistan 🙂
Indien und Pakistan sind keine Nationen, sondern Multinational- Staaten. So wie fast alle der 200 bei der UNO akkreditierten Staaten.
Was mir an diesem Bericht fehlt ist die Rolle Grossbritanniens, die die Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen nach dem Motto divide et impera während der Kolonialzeit gezielt schürte. Und die Rolle von Winston Churchill, der diese unsägliche Grenzziehung gegen alle Interessen der Einheimischen durchsetzte, um seine imperiale Politik auch in der Nachkolonialzeit weiterzuführen. (So wie der eiskalt berechnende Imperialist Churchill übrigens auch massgeblich den Nordirlandkonflikt zu verantworten hat.)
Churchill mag nicht immer optimal agiert haben, der Nordirlandkonflikt hat seine Wurzeln aber in der Invasion Irlands durch Cromwell 1649 und dessen brutalen Politik dort. Auch in Indien existierten die Konflikte zwischen Moslems und Hindus seit der Mogulzeit im 8. Jahrhundert, also lange vor der Ankunft der Engländer. Dass die Briten zur Zeit der indischen Unabhängigkeit eine schlechte Figur machten, stimmt allerdings.
Ich kenne die Geschichte der irischen Kolonialisierung einigermassen. Als sich aber Irland nach dem 1. Weltkrieg endlich zu befreien vermochte, verstand es Churchill meisterhaft, die verschiedenen irischen Lager gegeneinander auszuspielen und gleichzeitig Nordirland bei Grossbritannien zu halten. Das ist der Ursprung des NORD-Irlandkonflikts. Ich gehe aber mit Ihnen einig, dass selbstverständlich auch die Einheimischen (ob jetzt Iren oder Inder) nicht alles nur wohlmeinende Idealisten waren.
Churchill war vor dem Ersten Weltkrieg als damaliger Liberaler für die Einführung der Home-Rule in Irland. Er und viele britischen Politiker wollten einen Autonomie-Status für Irland mit eigenem Parlament im Rahmen des Vereinigten Königreiches. Vor allem die Konservativen und viele Liberale auch waren dagegen und verhinderten einen Ausgleich zwischen England und Irland.
Churchill war ein Imperialist, aber in der Irland-Frage war er offen. Churchill war im Zweiten Weltkrieg der entscheidende Mann in Großbritannien, aber nicht vorher.
Ghandi in Ehren, aber so schlimm war das mit den Briten wohl doch nicht. Es hatte Aspekte einer positiven Symbiose. Die Briten haben ihren Kolonien auch Stabilität, einigen Fortschritt und Infrastruktur gebracht. Andere Nationen haben sich wirklich übler verhalten. In Indien ist bei weniger religiösen Leuten die Meinung durchaus verbreitet, dass vieles während des Empire besser gewesen wäre, da Indien extrem korrupt, schwerfällig rückwärtsgewandt, chaotisch, eigentlich unregierbar sei. Ich hab es mehrfach selbst gehört. Indien lässt sich einfach nicht an europäischen Massstäben messen. Das mit Churchill haben Sie sich angelesen, vermute ich mal. Es gibt so eine Enthüllungsliteratur. Gerade jetzt präkär ist für Indien die Situation mit China in Sikkim und Bhutan. Davon erfährt man weniger.
Bezüglich Fortschritt und Infrastruktur:
http://www.hurstpublishers.com/book/inglorious-empire/
https://www.youtube.com/watch?v=O-VK2sDZCQw
Indien ist kein hinduistischer Staat, sondern ein säkularer Staat mit einer Hindu-Mehrheit. (Es gibt eigentlich keinen hinduistischen Staat auf der Welt. Nepal war mal hinduistisch, ist aber seit einiger Zeit auch ein säkularer Staat)
Die Islamische Republik von Pakistan ist im Gegensatz ein islamischer Staat.
Tja das hat man nun von den Kolonialisten, die hier erstaunlich gut wegkommen… Und heutige Kolonialisten in aller Welt aus den USA, GB u.a. Nationen tun noch immer das, was Kolonialisten immer taten. Reichtümer abschöpfen, Volk dumm halten, ausbeuten und gegeneinander aufhetzen, denn ‚Divide et impera‘ ist ja keine neue Formel… Was für unendliches Leid die Briten hier hinterlassen haben, ist dem Autor keine Silbe wert, was doch auf ein einigermassen abgeschlossenes westliches Selbstverständnis schliessen lässt… Kein Wunder, er ist ja Anglist und kein Historiker…