Terror an der Wiege der Demokratie

Ehrt die Schweizer Gardisten des französischen Königs Louis XVI: Das Löwendenkmal in Luzern. Foto: Gaëtan Bally (Keystone)

Die gefallenen Kämpfer des Tuileriensturms von 1792, die revolutionären Fédérés, haben in Marseille ein Denkmal, das ihre Unsterblichkeit proklamiert. Ihre Gegner, die Schweizer Gardisten des französischen Königs, besitzen den heroischen Löwen in Luzern. In Paris, wo die Kämpfe stattfanden, erinnert eine Tafel inmitten der Gebeine der Katakomben an den «Kampf im Tuilerienschloss am 10. August 1792». Über der Inschrift steht, im antiken Duktus, «Diis manibus»: den Totengöttern.

Wie können wir über 225 Jahre später, am Jahrestag der Schlacht, dieses Ereignis verstehen, das in der öffentlichen Erinnerung so unterschiedlich nachlebt?

Hugues Capet, König der Franken und Gründer des Herrschergeschlechts, bestieg den französischen Thron 987, sein ferner Nachfolger Louis XVI wurde 1792 von diesem Thron gestürzt. Das Ende der monarchischen Ordnung kündigte sich an, seit Finanzminister Necker 1781 den Schleier von den französischen Finanzen weggezogen und die Pensionen – staatliche Zahlungen an berechtigte oder begünstigte Privatpersonen – offengelegt hatte.

Verfassung zwischen Mühlsteinen

Die Finanzen waren es auch, die den König zwangen, im Mai 1789 nach 174 Jahren zum ersten Mal wieder die Generalstände einzuberufen, denen die Bewilligung von Finanzhilfen an die Krone und deren Beratung oblag. Eigentlich. Wenn die Könige Louis XIV, XV und XVI nicht absolut regiert hätten.

Wofür jetzt Louis XVI den Preis zahlte: Die Abgeordneten schworen am 20. Juni 1789, nicht mehr ohne Verfassung auseinanderzugehen. Es folgten zahlreiche Erschütterungen – der Bastillesturm vom 14. Juli 1789 und die vereitelte Flucht des Königs nach Varennes im Juni 1792 waren die heftigsten.

Wiege der modernen Demokratie: «Prise de la Bastille», Gemälde von Jean-Pierre Louis Laurent Houel, 1789. Quelle: Wikipedia

Danach wurde diese Verfassung der nunmehr konstitutionellen Monarchie Frankreich auch tatsächlich durch die Nationalversammlung verabschiedet und am 3. September 1791 in Kraft gesetzt. Ein wunderbar zu lesendes Dokument, in dem unter anderem steht:

«Die Verfassung garantiert (…) als natürliche und bürgerliche Rechte:

  • Die Freiheit aller Menschen zu gehen, zu bleiben, abzureisen, ohne verhaftet oder aufgehalten zu werden, es sei denn, gemäss den Formen der Verfassung.
  • Die Freiheit aller Menschen, (…) den Gottesdienst zu feiern, dem er anhängt.
  • Die Person des Königs ist unverletzlich und heilig.»

Monsieur und Madame Veto

Diese Verfassung geriet allerdings zwischen zwei Mühlsteine. Der König machte exzessiven Gebrauch von seinem (nach amerikanischem Vorbild geschaffenen) Vetorecht, und seine Kritiker begannen, den Sturz des «Monsieur Veto» und der Königin Marie Antoinette, der «Madame Veto», voranzutreiben.

Die Stellung des Königs wurde durch den Krieg gegen Österreich und Preussen zusätzlich belastet. Frankreich hatte diesen Krieg zwar erklärt, aber angesichts der Prahlereien des österreichisch-preussischen Kommandanten, des Herzogs von Braunschweig, («die Stadt Paris einer militärischen Exekution aussetzen») schlossen sich in Frankreich die Reihen; König und Königin wurden unpopulär.

Was blieb? Die Schweizer Gardisten

Die verfassungsmässige Garde wurde wieder aufgelöst, als Schutz des Monarchen blieben – ausser einer wenig verlässlichen Nationalgarde – ein paar Hundert Mann des Schweizergarde-Regiments. Dagegen mobilisierten die Pariser Revolutionäre, die sich allein für zu schwach hielten, in ganz Frankreich Verbündete. So marschierten Ende Juli rund 500 Marseiller Fédérés, als Bataillon organisierte Freiwillige, unter Absingen des «Chant de guerre pour l’armée du Rhin» in Paris ein, eines Liedes, das seither «Marseillaise» heisst.

Diese Marseiller und die beiden Bataillone der Stadtteile St. Antoine und St. Marceau stürmten mit Zuzügern am 10. August 1792 vom Carrousel-Platz aus den Tuilerienpalast; es waren vielleicht 2000 Kämpfer beiderlei Geschlechts, angefeuert von einer etwa zehnmal grösseren Menschenmenge.

Das Massaker vom 10. August 1792: «La prise des Tuileries», Gemälde von Jean Duplessi-Bertaux, 1793. Quelle: Wikipedia

König Louis XVI begab sich, eskortiert von führenden Offizieren des Schweizergarde-Regiments, unter den Schutz der Nationalversammlung, weil er glaubte, dadurch ein grosses Verbrechen zu verhindern. Sein Befehl an die Schweizer Gardisten, die Waffen niederzulegen und in die Kasernen zurückzugehen, kam zu spät. Die Verteidiger des Palastes hatten den Befehl erhalten, diesen zu halten, und genau das taten sie, heroisch, bis zum Martyrium.

Der schottische Dichter Sir Walter Scott brachte es auf den Punkt: «Eine bessere Verteidigung gegen eine derartige Übermacht ist in der Geschichte schwerlich zu finden – eine zwecklosere ist kaum vorstellbar.» Ergebnis: rund 1000 Tote insgesamt, davon etwa 600 Schweizer, was verständlicher wird, wenn man sich vergegenwärtigt, dass, wer sich ergeben hatte, massakriert wurde.

Politisch galt nun, in den Worten des Revolutionsliedes der Carmagnole:

«Madame Veto hatte versprochen,
ganz Paris zu vertilgen.
Doch ihre Pläne scheiterten
an unseren Kanonieren.»

Demokratie und Terror

Der König war gestürzt, mit ihm aber auch die Verfassung und die durch diese garantierten Rechte und Freiheiten. Was nun kam, war eine Mischung von Demokratie und Terror: Es fanden Wahlen statt, bei welchen die radikalsten Anführer Sitze holten – Marat, Danton, Robespierre.

Gleichzeitig wurden in aller Öffentlichkeit weit über 1000 Gefangene nach Schnellverfahren hingerichtet, oder besser gesagt, ermordet: papsttreue Priester, Adlige, Schweizer Gardisten, aus Privatrache Denunzierte. Die offizielle Begründung lautete: «Wir marschieren gegen den Feind, aber wir lassen hinter uns keine Briganten zurück, die unsere Frauen und Kinder erwürgen können.» Louis XVI sollte im Januar 1793 folgen, Marie Antoinette im Oktober.

So ist der 10. August 1792 ein Ausgangspunkt des modernen Totalitarismus. Der Tag hat andererseits freiheitliche Anteile, denn die freien Wahlen in Frankreich gingen auf ihn zurück. Und dann bleibt das Zeitlose, die von den Schweizern gelebte Treue zum gegebenen Wort.

12 Kommentare zu «Terror an der Wiege der Demokratie»

  • Rolf Zach sagt:

    Wenige Revolutionen sind nicht blutig, vor allem wenn ein Gesellschaftssystem durch ein anderes ersetzt wird. Nun ist ja immer die Frage, was nach dem Ende der Revolution kommt, die immer stattfindet, obwohl sich Revolutionäre bis zum Tod als solche betrachten, wie dies geradezu in einer tragischen Weise mit Fidel Castro in Kuba der Fall ist. Wer sich so als ewiger Revolutionär versteht, ist meistens ein übler Reaktionär, der sich nicht ändern will und sich nur noch an die Macht klammert. So ist es praktisch bei allen Revolution seit 1789 und noch verstärkt seit 1917. Bei diesen reaktionären Revolutionären zählt nur der Machterhalt. ob es Lenin, Mao, die Castro Brüder oder Maduro ist.
    Gibt es dabei guten oder bösen Terror? Eine solche Frage beantwortet sich immer viel später.

  • Carl Blumer sagt:

    Höflich ausgedrückt erinnern die Ausführungen von St.-L. an die Restauration, weniger höflich an Revisionismus.

  • Alex Vorburger sagt:

    Sollte es angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen nicht langsam – oder besser schnell – zu denken geben, wenn jemand die französische Revolution in erster Linie als Anfang des „modernen Totalitarismus“ wahrnimmt?
    Besonders wenn diese Person der Militärhistoriker und Aargauer SVP-Vorstand Stüssi-Lauterburg ist, dessen Parteiführung die Swisscom zum Löschen eines kritischen Artikels von ihrer Webseite (Juli 2016) nötigt oder deren prominentestes Aargauer Mitglied Glarner kurzerhand einen unliebsamen Artikel im Dorfblatt (Mai 2016) zensiert.
    Ob Stüssi-Lauterburg als nebenamtlicher Brugger Bezirksrichter solche Aktivitäten seiner Parteigenossen wohl auch als „modernen Totalitarismus“ wahrnimmt?
    Ich jedenfalls habe diesbezüglich noch keine Stellungnahme seinerseits gelesen…

    • Rolf Zach sagt:

      Ja wissen Sie, der Artikel versteht eigentlich die Beweggründe für die Französische Revolution in keiner Weise. Es wird nicht angesprochen, dass Frankreich mit seinen Steuerpächter eines der ineffizientesten Steuersysteme damals hatte. Habsburg, Preußen und vor allem England waren vor 1789 viel besser organisiert als Frankreich, die grösste und reichste Macht, die sich während des 18. Jahrhunderts vom kleinen England ständig piesacken lassen musste.
      Überhaupt ist in der SVP oftmals die Analyse der Vergangenheit diktiert durch feste ideologische Grundsätze, die für die Tagespolitik variabel sind, aber nicht für historisch grundlegende Erkenntnisse.
      Die Europafrage will die SVP nicht begreifen und sie ist dann erstaunt, wenn wir unsere Interessen nicht optimal ausnützen können.

  • Hans Rudolf Meier sagt:

    Der Terror des Königs wird einfach mal ignoriert und die Schweizer welche den Staatsterroristen verteidigten glorifziert. Von einem SVPler kann man wohl nicht mehr erwarten, selbst wenn er zu den verteufelten Studierten gehört.

  • Peter Keller sagt:

    Finde Jürg Stüssi-Lauterburgs Artikel eigentlich beleidigend für seinen Berufsstand.

    Wenn von „modernem Totalitarismus“ gesprochen wird, muss es wohl einen „alten Totalitarismus“ gegeben haben. Und der war genau das menschenverachtende Ancien Régime, von dem die Revolution die Bevölkerung befreit hat.

    Dann reduziert Stüssi-Lauterburg die Revolution auf die erfolgten Hinrichtungen konterrevolutionärer Kräfte. Dies hat sehr wohl stattgefunden. Aber dabei das was die Revolution tatsächlich antrieb und hervorbrachte – Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit des verfassungsmässigen Bürgerstaates – zu unterschlagen, ist doch sehr fragwürdig für einen „Historiker“.

    Als „modernen Totalitarismus“ ist wohl eher der Faschismus des 20. Jhdt. zu bezeichnen.

  • Herbert Anneler sagt:

    Ohne Französische Revolution gäbe es die Schweiz und ihre heutige liberal-demokratische Verfassung schlicht nicht! Französische Revolution: Der Beginn des modernen Totalitarismus??? Im Gegenteil!!! Der moderne Totalitarismus begann mit Thomas Hobbes als Vordenker des Absolutismus, der unter Louis XIV zur vollen Blüte fand und sich dann auf die Herrscherhäuser ganz Europas ausbreitete. DIES war der Beginn des modernen Totalitarismus. Die Französische Revolution war die Befreiung aus dem ungeheuren Elend der Menschen: Sie wollten ihr Schicksal endlich in die eigenen Hände nehmen. Stüssis Darstellung ist nicht ganz zweckfrei – der politische Drall ist unübersehbar.

  • Antimonarchist sagt:

    Wie erbärmlich muss man eigentlich sein, wenn man die Verteidigung eines widerlichen Tyrannen zur Heldentat hochstilisiert. Ludwig der XVI hat ziemlich genau das bekommen was er verdient hat genau wie Nikolaus II ca. 130 Jahre später.
    Und eine Verteidigung durch Berufssoldaten gegen eine Übermacht aus Partisanen/Freiwilligen als einmalig in der Geschichte darzustellen ist für einen Militärhistoriker schlichtweg peinlich. Da sind wohl mit jemandem aufgrund der Tatsache, dass die Verteidiger Schweizer waren die patriotischen Pferde durchgegangen.

    • Rolf Zach sagt:

      Aber bitte, Ludwig XVI. und NIkolaus II. waren nun wirklich schwache Figuren und sicher für den Beruf eines Monarchen nicht geeignet. Tyrannen waren sie sicher nicht wie ihre Vorgänger, z.B. Ludwig XIV und einiges weniger Ludwig XV bei Ludwig XVI.
      Der Vater von Nikolaus II, Alexander III. war nun wirklich keineswegs so unsicher wie sein Sohn, er war ein tyrannischer Autokrat.
      Abgesehen davon, gab es 1 Jahr vor dem Untergang der Schweizer Garde, ein Schweizer Regiment, dass zu Recht gegen seine habsüchtigen Schweizer Offiziere meuterte, die nicht genug französische Subsidien in in ihre eigene Tasche stecken konnten.
      Die hochlöbliche Schweizer Elite in Frankreich!

  • Martin Tanner sagt:

    „Der Löwe ist nicht tot – er ruht nur.“ Wirklich eines der traurigsten Denkmäler, die je geschaffen wurden!

    • Bebbi Fässler sagt:

      Luzerner können mit dem ruhenden Löwen gut Leben.
      .
      Gut Leben konnten früher dank der Reisläuferei Regimentsfähige Familien in Luzern.

  • Dominik Bärtschiger sagt:

    Sehr tendenziöse Beleuchtung der Ereignisse. Man müsste vielleicht auch noch erwähnen, dass Herr Stüssi-Lauterburg SVPler ist und Stabsmitarbeiter im VBS bei Ueli Maurer. Nur in diesem Licht betrachtet wird klar, warum die Verarmung des Volkes unter dem Königs unerwähnt bleibt und die Schweizer als Verteidiger desselben als Helden gefeiert werden.

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