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Besser Leben im Herbst

Lieber nach vorne schauen, anstatt sich über den Sommer zu ärgern: Der Herbst kann gar nicht früh genug kommen.

«Isch es rächt gsy?» – wäre dieser Sommer das Menü 1 in einem Landgasthof, man müsste die Frage entschieden verneinen. Nein, der Sommer war gar nicht recht. Ausdauernd hat er versucht, uns an eine Tagesdurchschnittstemperatur von 20 Grad zu gewöhnen. Fehlt nur noch, dass morgens jeweils Nebel liegt und das Licht diese verdächtig güldene Färbung annimmt. Wenn man es sich recht überlegt: Eigentlich hat der Herbst gefühlsmässig schon begonnen. Was noch fehlt, sind einzig die saisonalen Vorzüge, welche die Jahreszeit zu bieten hat und die einem in diesem aktuellen Sommer-Herbst-Hybrid aufgrund kalendarischer Gründe noch weitgehend vorenthalten werden.

Hier also die Gründe, weshalb wir uns auf den Herbst getrost freuen dürfen:

Lotto spielen

Lotto, der unbestrittene König der Wirtshausunterhaltung, wird in manchen Knellen auch im Sommer angeboten. Richtig Spass macht die Geschichte aber erst dann, wenn es am frühen Abend vor dem Landgasthof schon traulich eindunkelt, wenn die Kastanienbäume im Garten ihr gelbes Laub kräuseln und die Gewinnkörbe über und über mit Fleischprodukten aus der letzten Metzgete vollgestopft sind. So viel zu lernen gibt es beim Lottospielen: Lohnt es sich, an seinen Karten festzuhalten, oder soll man sie nach jedem Gang auswechseln? Ab dem wievielten Gewinn findet einen die lokale Stammkundschaft so richtig unsympathisch? Und wie in Gottes Namen soll ein Zweipersonenhaushalt einer mächtigen Speckseite und drei Kilo Rippli beikommen?

Die Konzertsaison beginnt

Die Clubs und Konzertlokale Berns melden sich mit dem Ende des meteorologischen Sommers allmählich in die Konzertsaison zurück. Das sind gute Nachrichten. Ab an die Wärme, Überzeug an der Garderobe abgeben und sich die Akquisitionen der Berner Bookerinnen und Booker zu Gemüte führen: etwa die so durchgeknallte wie bezaubernde Dillon am 17. Oktober im Dachstock, im Bad Bonn am selben Abend Oscar and the Wolf oder Ja, Panik am 6. November in der Dampfzentrale.

Pilze sammeln

Natürlich, nach all dem Niederschlag hat die Pilzsaison heuer etwas früher begonnen. Doch der Herbst verspricht noch viel mehr davon. Pilzsucher, die sich im Geäst gegenseitig scheele Blicke zuwerfen, aufgeschürfte Brombeerwaden, Tannennadeln im Haar und Kolonien von riesenhaften Nacktschnecken sind zwar gewöhnungsbedürftig, doch das Ungemach lohnt sich alleweil. Spätestens wenn die Steinpilze, die Eierschwämme und die Hexenröhrlinge in etwas Butter in der Bratpfanne vor sich hin bräunen. Und geht man einmal leer aus, gehts halt ab in den nächsten Landgasthof zum –> Lotto spielen oder –> Wild essen.

Wild essen

Es muss ja gar nicht der Hohrücken vom Reh sein. Auch ein ausgiebig geschmortes Gämsenragout schmeckt hervorragend, nicht zuletzt dank hausgemachten Spätzli, Rotkraut, Kastanien und gefülltem Apfel. Und wenn dann die Servierkraft mit einem antiquierten Tischroller die Krümel vom Tischtuch fegt und fragt: «Isch es rächt gsy?», dann war es das. Sehr.

Hanna Jordi

Hanna Jordi lebt in Bern seit 1985. Etwas anderes hat sich bislang nicht aufgedrängt.


Publiziert am 22. August 2014

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