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Tramfahren mit Geri

Zur Zeit wird überall laut über Trams und bedrohte Bäume diskutiert. Dabei droht vergessen zu gehen, dass in diesen langen roten Schienenfahrzeugen auch ein Mensch sitzt. Zeit deshalb, einmal die Perspektive zu wechseln.

Ich treffe mich mit Tramfahrer Geri Riesen am Bahnhof. Schon bei der Begrüssung widerlegt sich dabei ein grundsätzliches Vorurteil. Den Lenkern eines öffentlichen Verkehrsmittels haftet ja gemeinhin der Ruf an, eher gereizt bis unhöflich zu sein. Anders Geri. Dieser Mensch strahlt eine ansteckende Ruhe, ja, eine fast heimliche Euphorie aus.

Weshalb, wird schnell klar. Zwängt man sich durch die kleine enge Türe in den Führerstand, bietet sich ein überwältigender Panoramablick auf die vor einem liegende Strasse. Riesige Fenster, viel Raum und eine angenehme Stille: Die Kabine wirkt wie eine kleine Oase im Alltagsstress.

Wie in einer Gondel mit Rundumverglasung schweben wir so durch die Stadt. Zuerst gehts Richtung Wabern, zur Speed-Strecke. Zwischen Sandrain und Schönegg verwandelt sich das Tram in einen Zug und düst mit 50km/h auf einem eigenen Trassee. Höchstgeschwindigkeit.

Berns bescheidene Grösse zeigt sich aber auch hier wieder: Schon bald sind wir wieder auf der Strasse im Mischverkehr, wenden in Wabern und machen uns auf Richtung Innenstadt. Auf der gesamten Fahrt sind wir dabei nicht allein: Fortwährend werden wir überwacht von Ibis, dem Bordcomputer.

Ibis stellt uns nicht nur automatisch alle Weichen richtig, sondern kontrolliert mit einigen Piepsern immer wieder, ob Geri noch bei der Sache sei. Dieser reagiert dabei jeweils cool mit ein paar Knopfdrücken. Die beiden verstehen sich.

So gondeln wir weiter Richtung Wankdorf Bahnhof, vorbei an Beinahe-Crashs mit unaufmerksamen Fussgängern, Velofahrern und Autos. Geri bleibt auch hier die Ruhe selbst, bremst ab, kommentiert das Geschehen lakonisch und beschleunigt wieder.

Auch durch meine Fragen lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. Mit wenigen Worten sagt er jeweils, was Sache ist. Auf der Fahrt erfahre ich so beispielsweise, dass durchschnittlich zwei bis vier Runden am Stück gefahren werden, dass das Tram theoretisch sogar 70km/h fahren könnte und dass die Linie 6 mit ihren FC-Basel Trams eine Zusatzausbildung braucht.

Auf die Frage nach der Lieblingsstrecke schweigt sich Geri allerdings aus. Alle Linien seien interessant zu fahren, meint er. Als wir jedoch auf dem Rückweg in Richtung Innenstadt über die Kornhausbrücke fahren und mir Geri von den schönen Morgenstimmungen erzählt, etwa wenn die Alpen hinter der Stadt aufleuchteten, wird klar, dass es wohl diese Linie sein dürfte.

Das ist in diesem Moment aber auch nebensächlich. Geris Augen leuchten, wir geniessen das Panorama und man merkt: Dieser Mann hat seine Berufung gefunden. Und ich merke, wie ich eigentlich auch ganz gerne mal Tramfahrer werden möchte.

Als ich beim Hirschengraben aussteige, kommen mir die verstörten Baumfreunde an der Viktoriastrasse wieder in den Sinn. Denen sollte man wohl auch mal ne Tramfahrt mit Geri spendieren, denke ich mir, das würde ihre strapazierten Nerven wohl um einiges beruhigen. Tramfahren als Ritalin für Baumfreunde quasi. Wäre erst noch Bio und ohne Nebenwirkungen.

David Streit

David Streit begibt sich auf Entdeckungsreisen in seiner Heimatstadt: Hinter den verschlossenen Türen der Bundesstadt erforscht er Winkel, die der Öffentlichkeit normalerweise verborgen bleiben.


Publiziert am 27. Juni 2014

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