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Reine Geschmackssache

Laut Medienberichten soll Bern nach Urin stinken. Was ist da dran? Wir haben ein wenig in der Altstadt herumgeschnüffelt.

Die Meldung kam praktisch aus dem Nichts. Da dreht man nichtsahnend seine Runden im Internet und dann das: «Bern stinkt!» titeln die Kollegen und Ritter des guten Geschmacks vom «Blick». Bloss eine pubertäre Pöbelei oder hatte da die Konkurrenz wieder einmal den richtigen Riecher? Dem Artikel zufolge gibt es in der Stadt zu wenig öffentliche WCs, was zu erhöhtem Aufkommen von Wildpinklern führt. Diese sähen sich besonders samstagnachts dazu gezwungen, es in den Altstadt-Gässchen einfach mal laufen zu lassen, was wiederum dazu führe, dass Bern am Sonntagmorgen besonders fest stinken würde. Aber ist Bern wirklich das Pissoir der Schweiz? Schauen wir uns doch einmal vor Ort um. Noch einmal tief durchatmen, auf geht’s.

Fangen wir am unteren Ende an, dort wo Nydegg- und Gerechtigkeitsgasse aufeinandertreffen. Sie können die Wäscheklammer wieder von der Nase nehmen. Die Luft ist rein. Dieses Gebiet scheint für Wildpinkler wenig attraktiv. Etwas anders sieht es aber aus, wenn wir in die Junkerngasse einschlagen. Hier ist es etwas anonymer und ruhiger – ein passables stilles Örtchen. Wer nun aber befürchtet, in urinösen Dunst zu tappen, liegt falsch. Zwar machen sich an den Wänden ein paar verdächtige Flecken bemerkbar, die dann etwas wellenförmig bis weit ins Trottoir reichen, doch die Junkerngasse bleibt geschmacksneutral.

Nähern wir uns langsam dem Epizentrum der öffentlichen Erleichterung. Die Aarbergergasse ist nicht mehr fern und die Splitter von zersprungenen Glasflaschen am Boden häufen sich. Nun lassen Sie uns kombinieren: Wo Flaschen waren, wurde getrunken und wo getrunken wurde, fallen die Hemmungen und wo die Hemmungen fallen, plätschert der Urin schnell einmal an Hauswände anstatt in die dazu vorgesehenen sanitären Anlagen. Überraschenderweise ist dann die Aarbergergasse ohne grosse Atemnot zu durchgehen, doch auf der Höhe Ryffligässchen ist klar: Hier liegt was in der Luft. Nun machen Sie sich aber nicht gleich in die Hosen. Für das ist schliesslich das Ryffligässchen da. Zumindest wenn es Samstag ist und Sie betrunken sind. Von einem Gestank zu reden, wäre dann aber doch etwas zu hart ausgedrückt. Ein leichtes Zwicken in der Nase werden Sie aber schon zu spüren bekommen.

Schauen wir noch schnell beim Bollwerk vorbei. Wenn Spurenlesen für Sie Neuland ist, dann wird es nun schwierig. Es dürfte Sie etwas Zeit kosten, um Urinspuren von Kotzflecken unterscheiden zu können. Grundsätzlich gilt: Urinspuren reichen weiter und sind weniger körnig. Ausnahmen bestätigen die Regeln. Nun ist es zwar so, dass schon einige die Wände des Bollwerks markiert haben, doch auf die Geschmacksqualität hat das keinen Einfluss. Wir stellen fest: Bern stinkt nicht so fest, wie das die sensiblen Nasen in der «Blick»-Redaktion wohl gerne hätten. Und immerhin erschien der Artikel in der Spargelsaison.

Martin Erdmann

Martin Erdmann


Publiziert am 2. Juni 2014

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