
Leimige Weinseligkeit
Die BEA Expo ruft. Der Geist der Weinmesse will erkundet werden. Und mit ihm die Bereitschaft, viele Weinhändlerherzen zu brechen.
Der rote Teppich ist ausgerollt für die Neo-Weinmessebesucher, die sich kurz nach 17:00 vor der Festhalle in der Bea-Expo einfinden. Auf die Suche nach der Seele der Berner Weinmesse soll es gehen, und man macht beim Erstatten des Eintritts (alle anderen hatten Gutscheine) erstmal grosse Augen: Denn die süssen, roten, herben Kabinett- und Kellerweine kosten darf erst, wer 25 Franken Entgelt am Eingang spendet. Wir studieren kurz das Spesenreglement, sagen mit Kennermiene «D’accord», und los gehts, auch weil wir das Geld als Investition in gute Tropfen ansehen, sofern wir Laien sie unter dem allfälligen Fusel denn ausmachen können.
Die Messehalle umfängt uns, ihre lustfeindlichen Proportionen haben findige Messemeister mit dunklen Stoffbannern gelinde abzuschwächen versucht, doch ein Locus Amoenus ist es noch immer nicht, auch wenn im Eingang ein Zierbrunnen plätschert. Es geht nicht lange, bis die Gratismentalität durchbricht wie bei allen anderen Messebesuchern. Wie ferngesteuert visieren wir ein Plättchen mit Häppchen an. Was sich als Fehler herausstellt: Die Crème de Truffes auf den Brötchen ist irgendwie knoblauchlastig. Der Gaumen ist ruiniert, es kann losgehen.
Kulinarisch interessiert, aber oenologisch unbedarft und dazu noch erst seit Kurzem mit Kaufkraft beschlagen – es fühlt sich an, als wäre uns dies auf die Stirn geschrieben. Entsprechend gering ist das Interesse an unsereins. Wir beginnen unsere Reise nach dem Zufallsprinzip. Ein freundlicher Seehundschnauz erzählt uns von seiner neuesten Errungenschaft, einem Chardonnay aus Kanada, und das klingt so exotisch, dass wir prompt anbeissen. Der Weisse schmeckt – okay. Und es entsteht eine unangenehme Pause, als beiden Parteien klar wird, dass es kein zweites Date geben wird, geschweige denn, wir eine Kiste bestellen werden. Unter Entschuldigungen stehlen wir uns davon.
Ohnehin: Wie vorgehen? Das Angebot ist uferlos. Auf der Suche nach dem Wein von Yello-Mann Dieter Meier (wieder ein Schnauzbart!) fragt Kollegin Jordi an einem Stand nach einem Prominentenwein, was aber in diesem Kontext falsch aufgefasst wird: Der Verkäufer eines Berner Weingeschäfts stellt hernach den Wein eines Stars der Winzerszene in Aussicht, einem aus dem Priorat, was, wie wir lernen, ob Taragona liegt. Doch bevor wir für diesen bereit seien, sagt er, müssten wir ein paar kleinere Weine vorher kennenlernen. Klein, das heisst in der Weinhändlersprache günstig, wie wir erfahren. Und so führt er uns in einer Fünfstationendegustation quer durch Europa bis zum 75-Franken-Wein, eine Reise, die sich lohnt, denn der Rote ist fast violett vor Intensität, und hätte man die richtigen Worte zum Beschreiben, man würde es tun. Sartorius übt sich zumindest in Fachsimpeleien, die ihm allerdings nicht besonders gut anstehen.
Der nette Mann sieht uns lange hinterher, als wir uns unter Entschuldigungen davonmachen und in der Masse der foulardumwölkten und jackettragenden Messebesucher verschwinden. Später trinken wir einen Weisswein, der schmeckt wie ein Rotwein. Und einen, von dem Kollege Sartorius sagt, er schmecke «leimig». Einen, der wild ist, weil noch so jung. Wir werden schlecht behandelt an einem Traditionsstand und essen viele Grissini und Brotwürfel. Die Spucknäpfe lassen wir unbenutzt. Wir müssen ja den Eintrittspreis irgendwie rausholen.
Die Berner Weinmesse dauert noch bis am 21. Oktober
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