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Die menschliche Puppe

Was geschieht, wenn man den eigenen Körper in den Dienst der Wissenschaft stellt? Ein Selbstversuch.

Nicht immer landet man im Inselspital wegen eines Wehwehchen. Diverse Patientinnen, Patienten und Bekannte von Ärzten geben den eigenen Körper schon mal im Dienste der Wissenschaft her, denn auch die Ärzteschaft kann nicht alles aus Büchern lernen. Und so kommt es, dass ich als menschliche Puppe einer Runde Mediziner diene, die lernen will, die Tücken des Ultraschalls zu meistern.

Bis auf den Kursleiter sind im «Sonographie/Ultraschall Grundkurs I» die Götter in Weiss in meinem Fall ausnahmslos Göttinnen, die sich als erstes ausgiebig damit beschäftigen, wie man die Krankenliege auf die richtige Höhe einstellt. «Keine Sorge, die wissen schon, was sie tun», raunt mir der Kursleiter auf meinen skeptischen Blick hin zu. Ultraschall, so lerne ich, ist nicht nur zur Untersuchung allfälligen Nachwuchses da, sondern wird auch sonst verwendet, um ins Körperinnere zu schauen – in meinem Fall ist der Fuss das Ziel. Für mich sieht der Screen verdächtig nach diesem verschwommenen Hasen aus, der das Filmplakat von «Donnie Darko» zierte, der Ärzteschaft gibt es aber offenbar tiefe Einsichten über fusstechnische Zusammensetzungen.

Menschliche Puppe spielen stellt sich als nicht gerade herausfordernd heraus. Der eigene Beitrag beschränkt sich darauf, hin und wieder Uma-Thurman-mässig mit den Zehen zu wackeln, und irritierenderweise stolz darauf zu sein, wenn dafür ein «Gut machen Sie das» kommt. Auch den Diskussionen zu lauschen ist geradezu quälend öde, da die Ärzteschaft sich natürlich ausschliesslich in Fachchinesisch – respektive Latein – austauscht. Ich lerne einzig, dass Ärztinnen und Ärzte Eselsbrücken wie «Tom, Dick and very nervous Harry» brauchen, um sich die Anordnung von Nerven und Sehnen im Gewebe zu merken.

Ziemlich unterhaltend dagegen ist, die gruppendynamischen Prozesse zu beobachten, die an ziemlich viele eigene Schul- und Lernerfahrungen erinnern, obwohl alle Kursteilnehmerinnen ausgebildete Ärztinnen sind. Da gibt es die Wissbegierige, die bei jedem Kommentar nach Bestätigung des Leiters heischt. Die Intellektuelle, die je untersuchten Zentimeter gleich noch eine ganze Liste an möglichen Krankheitsbildern herunterrattert. Auch die Rebellin fehlt natürlich nicht, die – sehr zum Unmut des Kursleiters – ziemlich all dessen Weisheiten in Frage stellt. «Wäre das so richtig, um eine Pathologie zu erkennen?» fragt sie, meinen mit Gel verschmierten Fuss scannend. «Nun ja – ja», knurrt er. «Aber Sie müssten das viel liebevoller machen!»

Weils grad so schön ist, widmet sich der Kurs dann auch noch ganz liebevoll dem Gewebeinnern der Knie und der Schulter, bis ich dann so mit Ultraschall-Gel vollgeschmiert bin, dass ich das dringende Bedürfnis nach einer Dusche verspüre. Immerhin werde ich für die Stunde, die ich meinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung stelle, fürstlich entlöhnt – und werde von nun an immer mitreden können, wenn es um den «sehr nervösen Harry» geht.

Gianna Blum

Gianna Blum hat 2006 das Land- gegen das Stadtleben eingetauscht und sucht immer noch nach dem Unterschied. Für Hinweise ist sie dankbar.


Publiziert am 29. Januar 2014

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