
Das beste Nachtleben der Welt
Viele Bernerinnen und Berner sind überzeugt: «In Bern läuft einfach nie etwas». Ist dem wirklich so? Der statistische Gegenbeweis.
Hin und wieder überkommt einen auch nach überstandener Sturm-und-Drang-Phase und durchlebter Post-Pubertät das Reissen nach der Kombination von Bier und Tanz. So auch an jenem Freitagabend vor einigen Wochen. Die Konsultation des Berner Ausgehkalenders sorgte aber schon kurz darauf für Ernüchterung. In der Enttäuschung ob des dürftigen Ausgehangebots erinnerte man sich an eine in Bern oft gehörte Aussage: «In Bern läuft einfach nie etwas» und den oft darauf folgenden Hinweis: «In Zürich – wahlweise auch in Berlin – ist das anders». Party-Politiker (damit kein Missverständnis entsteht: Party-Politiker sind ebenso wenig ständig in Feierlaune wie Sozialpolitiker alle sozial sind) fordern deshalb schon einmal ein «hauptstadtwürdiges Nachtleben».
Doch steht es um Berns Ausgeh- und Kulturangebot wirklich so schlecht? Hat Zürich, das sich in einer Werbe-Kampagne einst als Downtown Switzerland bezeichnet hatte, tatsächlich das hauptstadtwürdigere Ausgehangebot als Bern? Oder ist das bloss Gejammer unter angesäuseltem Ausgehvolk, das später Politiker aufgreifen, und in das man an Freitagen, wie dem eingangs geschilderten, selbst mit einstimmt.
Es ist an der Zeit, diese Frage endlich nüchtern und mit Hilfe einer ebensolchen Statistik zu beantworten:
Dazu vergleichen wir das Kulturangebot der beiden Städte anhand der Einträge vom 25. Januar in der Agenda des «Bund» und im Züri-Tipp des «Tages-Anzeigers». Unter der Rubrik Dancefloor sind in Bern 18 Veranstaltungen aufgelistet, in Zürich deren 57. Wer diese Zahlen als Bestätigung für das ansieht, was er schon immer gewusst haben will, sollte sich aber auch die folgenden Zahlen zu Gemüte führen: Heruntergerechnet auf die Bevölkerungszahl der beiden Städte ergibt das in Zürich eine Party auf 6912 Einwohner, in Bern eine auf 7656 Stadtbewohner. Ein minimaler Unterschied.
In Zürich sind am selben Tag zwölf Konzerte (darunter diejenigen der Berner Bands Grand Mother’s Funck und Cachét) in die Agenda eingetragen, in Bern deren acht. Somit kommen in Zürich auf 32‘834 Einwohner ein Konzert, in Bern eines auf 17‘227 Einwohner. Proportional zur Grösse der beiden Städte finden in Bern folglich fast doppelt so viele Konzerte statt. Und Berner Theaterfreunden stehen sogar fast gleich viele Theaterstücke zur Auswahl, wie ihren Pendants im rund dreimal grösseren Zürich.
Zugegeben, diese Vergleiche haben einige statistische Schwächen: So zeigen sie einzig eine Momentaufnahme, auch ist die Qualität der jeweiligen Veranstaltungen nicht gewichtet. Zudem sind die Einwohnerzahlen der Stadt Bern und der Stadt Zürich, deren Vororte fast alle eingemeindet sind, nicht gänzlich vergleichbar. Auch sind wohl nicht ganz alle Veranstaltungen in den beiden Ausgehkalendern erfasst. Trotz dieser statistischen Ungenauigkeiten lassen die Zahlen eine Tendenz erkennen – und die ist eindeutig: Bern macht im Scheinwerfer- und Strobolicht des Kultur- und Nachtlebens eine gute Figur und rockt mehr als Downtown Switzerland.
Vielleicht war an jenem Freitag vor einigen Wochen auch nicht das angebotene Kulturprogramm schuld an der gefühlten Ausgeh-Misere, sondern die latente Müdigkeit des potentiellen Ausgehers, die diesen zu einem Stubenhocker mutieren liess. In solchen Fälle würde auch «das beste Nachtleben der Welt» (grössenwahninnige Party-Politiker melden sich bei Interessen an diesem Slogan bitte beim Autor dieses Blog-Artikels) nicht viel nützen – egal ob in Bern, in Zürich oder in Berlin.
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