
Willkommen am Stadtrand
Das Wasserwerk zieht dahin, wo es niemanden mehr stören kann: in die Industriezone. Schlummert dort die Lösung von Berns Nachtleben-Konflikten? Wohl kaum.
Bereits seit einer Weile ist die Feststimmung im Wasserwerk gedämpft. Nur noch wenige Partyreihen fanden im Club an der Wasserwerkgasse statt, Konzerte gabs schon länger nicht mehr. Der Hype, dieser ehemalige Fiebermesser für die Vitalität der Berner Rapgemeinde, wurde zwar einigermassen erfolgreich weitergeführt, wenn man einigen unverwüstlichen Augenzeugen Glauben schenken möchte, doch so recht wollte sich das alte Wasi-Gefühl nie mehr einstellen. Nicht, nachdem der Lärmkonflikt mit den Nachbarn die Behördenschreibtische erreicht hatte. M.I.A. mit Diplo live auf der Bühne, verstärkt über dröhnende Boxen, während der Körperdunst des fröhlich transpirierenden Publikums an den Wänden kondensiert wie anno 2005 – undenkbar bei den 80 Dezibel Maximallautstärke, die dem Wasserwerk behördlich abverlangt werden.
Einzelne Anwohner der Matte versorgten Regierungsstatthalter Christoph Lerch jahrelang mit guten Gründen, um dem Wasserwerk strengere Regeln aufzuerlegen. Nun zieht das Wasserwerk die Konsequenzen. Eines der ehemals stolzesten Flaggschiffe der Berner Clubszene streicht die Segel. Und verlässt seinen Standort in der Berner Matte, um sich am Stadtrand niederzulassen. Im Wahlexil, in der Industriezone im Galgenfeld, wo sich keine Nachbarn über den Lärm beklagen können. Hier kann kein Schlaf gestört werden, denn die Nachbarn sind Gewerbler, die Angestellten verarbeiten tagsüber Schrott, betreiben Recycling und räumen nachts das Feld.
Die laute Kultur sucht sich ihre Nischen also abseits besiedelten Gebiete – eine Lösung, die den Regierungsstatthalter, seines Zeichens Blitzableiter für die öffentliche Wut auf Behördenentscheide, und die Stadtregierung gleichermassen freuen dürfte. Denn am Stadtrand verlaufen zwar die Gemeindegrenzen zu Ostermundigen, aber ungleich weniger Konfliktlinien als inmitten von Bern, wo die Behörden zwischen Anwohnern und Clubgängern vermitteln müssen.
Bloss, kann diese Abwanderung die Lösung sein für Berns Nachtlebenskonflikte? Wohl kaum. Natürlich ist der Stadtrand nicht das Ende der Welt. Doch dünnt die Ausgehvielfalt in der Innenstadt aus, ist das zumindest ein schlechtes Zeichen. Es steht der Hauptstadt gut an, wenn es auch abseits von Aarbergergasse und Bollwerk künftig noch Lokale gibt, die ein reichhaltiges Kulturprogramm bieten. Zumal sich erst noch zeigen muss, ob die Mitglieder der Festgemeinde gewillt sind, nachts noch in die Peripherie zu reisen. Und dabei aber bitte vernunfthalber das Auto zuhause lassen, damit sie nicht um fünf Uhr morgens noch in Versuchung kommen, Rennen zu fahren zwischen Ostermundigen und Bern.
Dem Wasserwerk ist es freilich zu wünschen, dass sich der neue Standort auszahlt. Wenn sich das Programm nur ein bisschen nach dem Vorbild von anno dazumal richtet, stehen die Chancen sogar recht gut.
Verbleibende Anzahl Zeichen:
Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.