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Manu Friedrich

Totgesagte drehen länger

In Zeiten von Musikdownloads gewinnen Schallplatten wieder an Attraktivität. Am Sonntag versammelten sich Musikliebhaber zur Berner Schallplattenbörse.

Der elterliche Plattenspieler war eine Institution. Anfangs fast ausschliesslich aufgrund seiner Knöpfe und seiner Eigenschaft, sich wunderbar hypnotisch zu drehen. Später wegen der klangliche Effekte, den die LP-Platten beim Abspielen mit höherer, für kleinere Platten vorgesehener Geschwindigkeit erzeugen. Entgegen des elterlichen Hinweises haben die Platten dabei aber überhaupt keinen Schaden genommen. Irgendwann wurde dann die väterliche Plattensammlung an sich immer faszinierender.

Es muss aber gesagt sein, dass meine persönliche Beziehung zu Vinylplatten von Beginn weg unter keinem guten Stern stand: 1984, in meinem Geburtsjahr, wurden zum ersten und zum letzten Mal gleich viele Compact Discs (CDs) wie gepresste Vinylplatten verkauft (je 800 Millionen Stück). Anschliessend setzten die silbernen Scheiben zu ihrem – zumindest vorerst – triumphalen Siegeszug an. Mitte der 90er-Jahre wurden rund dreissig Mal weniger Vinylscheiben verkauft als noch zehn Jahre zuvor.

Und so verschwanden die Vinylplatten beinahe gänzlich und ziemlich plötzlich aus meinem Leben – und nicht nur aus dem meinen: Die silberig glitzernde CD verdrängte die mattschwarzen Platten überall in die Bananenkisten und in den Keller; (m)eine Institution war durch den Fortschritt abgelöst worden.

Fortschritt! Kann Fortschritt überhaupt schlecht sein? Ja?
Kann Fortschritt aber überhaupt aufgehalten werden? Das dann doch eher weniger.

Und so kauften sich in der Folge alle Musikliebhaber (und auch alle anderen) CD-Abspielgeräte (der guten Tonqualität wegen), Walkman und Minidisc-Player; nie wurden mehr Tonträger verkauft als in den 90er-Jahren.

Kann Fortschritt überhaupt aufgehalten werden? Selbstverständlich nicht.

Aus dem Walkman wurde der I-Pod, aus der Stereoanlage ein Laptop. Und so kauften in der Folge alle Musikliebhaber (und auch alle anderen) keine CDs mehr, oder zumindest bedeutend weniger. Musikgeschäfte, auch sie Institutionen meiner Jugend, verschwanden; Musiker fürchten um ihre Existenz, Plattenfirmenmanager um ihre Boni.

Für die Musikliebhaber (und auch alle anderen) entpuppte sich das Internet dagegen als wahre Fund- und Schatzgrube. Und wie das bei Schätzen so ist, wurden manche zu Goldgräbern, andere zu Piraten. Wieder andere sehnten sich ob des unromantischen Vorgangs des Herunterladens nach Entschleunigung und Nostalgie. Sie wurden bei den mit 33 oder 45 Umdrehungen pro Minute gemächlich drehenden Schallplattenspielern fündig. In Zeiten, in denen Brockenstuben-Möbel Urbanität ausstrahlen, ist das Knistern der Schallplattennadel übrigens kein Knistern mehr, sondern macht den wahren Musikgenuss erst komplett.

Und so war das neue Foyer des Berner Kursaals bei der Herbstausgabe der Berner Schallplattenbörse (hier und da gab es einige wenige CDs zu kaufen) gut besucht. In einer wohl sortierten Box mit Psyrock-Platten wühlend (danke an den netten Verkäufer aus Basel, der die Platten anschliessend wieder penibel in Reih-und-Glied gebüschelt hat) stellten sich nostalgische Gefühle auf: Ob mir mein Vater seinen Plattenspieler (im Keller eingelagert) und seine Schallplatten (in der Bananenkiste verstaut) überlässt?

Basil Weingartner

Als Basil Weingartner vor 12 Jahren nach Bern zog, erhielt er als Begrüssungsgeschenk eine Packung exquisiter Jodtabletten.


Publiziert am 27. November 2013

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