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Duschen unter dem Gleis

Was kostet eine Dusche? Unter den Geleisen im Bahnhof genau zwölf Franken. Der «Haupstädter» hat sich diesen Service angetan.

Es ist ein seltsames Gefühl, aus dem frühmorgendlichen Pendlerstrom auszubrechen und einigermassen verpeilt die einzig verbliebenen Hygieneörtlichkeiten im Bahnhof Bern aufzusuchen. Dieser Besuch ist seit einigen Jahren natürlich nicht mehr für lau zu haben, denn wie es im Bahnhofs-Alphabet unter «T wie Toilette» heisst, gibt es diese nirgends gratis am Bahnhof. So bezahlt zwei Franken, wer via Drehkreuz das WC besuchen will, doch da unsereiner den rudimentären Kulturbeutel eingepackt hat, schlägt der McClean-Besuch mit zwölf Franken zu Buche, gilt es doch, die Duschkabine zu testen, die unter den Gleisen angesiedelt ist.

Vom regen oberirdischen Zugsverkehr merkt der Duschende leider nichts, denn das Kabäuschen, das neben einem Lavabo auch die angepeilte Dusche enthält, ist einigermassen schalldicht und die erhoffte Grossstadt-Atmosphäre bleibt aussen vor. Vielmehr entwickle ich klaustrophobische Gefühle, und ich frage mich, wer diese Dusche, die natürlich tadellos sauber ist, denn überhaupt je aufsucht. Ausser Manager und andere Handelsreisende sowie sehr verwegene Nachteulen kommt mir niemand anderes in den Sinn.

Unter der Brause denke ich zunächst kurz an die Duschszene in «Psycho». Denn ich fühle mich unbehaglich an diesem so anonymen Durchschleuseort – und der kaum feste Duschstrahl bringt auch keine heiteren Gedanken in den Morgenkopf. So bringe ich die Waschung so rasch als möglich hinter mich – wenn auch das Dusch-Shampoo-Duo-Herausknobeln aus dem glitschigen Plastik für Verzögerungen sorgt.

Draussen vor der McClean-Tür dann die wahre Sensation an der Dusche im Bahnhof: Statt in der trauten Bude finde ich mich zwischen Warteraum und Lift, zwischen der stinkenden Crobag-Luft und dem Pulk an Menschen wieder. Willkommen in Bern, möchte man mir zurufen, doch ich weiss schon jetzt, nach dieser frühen, verirrten Dusche: Aus diesem Tag wird nichts mehr.

Benedikt Sartorius

Benedikt Sartorius lebt seit dem Transfer aus dem Oberland in Bern und hat seit einiger Zeit Frieden mit der Stadt geschlossen. Eine gewisse Neigung zum Sandstein- und Laubenallergiker ist aber immer noch spürbar.


Publiziert am 22. November 2013

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