
Streetfighter – Gesetz der Strasse
Wenn sich motorisierte Verkehrsteilnehmer und Velofahrer in die Quere kommen, nerven sich die Einen und fürchten sich die Anderen. Im moralischen Nahkampf ist dabei der Fahrradfahrer überlegen.
Im vergangenen Jahr verunglückten im Strassenverkehr laut Statistik alleine im Kanton Bern rund 600 Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer. Die meisten davon bei Selbstunfällen, anderen wurde die Begegnung mit einem Auto zum Verhängnis.
Die Rubrik «Von motorisiertem Strassenteilnehmer krankenhausreif geprügelt» sucht man in der offizielle Unfallstatistik dagegen vergebens. Doch hätte man sie letzte Woche beinahe einführen müssen: Nur die filmreife Querung der vielbefahrenen Gegenfahrbahn und ein darauffolgendes beherztes In-die-Pedale-treten rettete mich vor den behandschuhten Riesenpranken und der narkotisierenden Alkoholfahne des Mofa-Fahrers, den ich kurz zuvor aufgrund seiner merkwürdigen Fahrweise überholt hatte. Den Weg abgeschnitten hätte ich ihm. Dies wollte er mir nun im wahrsten Sinn des Worts einbläuen.
Die eine oder der andere wird sich nun mit dem furchteinflössenden Töffli-Mann sympathisieren, wird in ihm einen mutigen Rächer all jener Autobewegten sehen, die in Fahrradfahrern einzig Verkehrshindernisse oder rücksichtlose Gesetzeslose sehen.
Dem Strassenkampf mit dem Wüterich konnte ich glücklicherweise entgehen. Doch der Konflikt schwelt stadtweit weiter: Auf komplizierten Strassenkreuzungen und in engen Strässchen aber auch an Stammtischen, Familientischen und in Internetforen.
Um Bewegung in diese Diskussionen zu bringen, wird der «Hauptstädter» deshalb für einmal zum Boxring. In diesem darf der Töffli-Mann stellvertretend für alle enervierten motorisierten Verkehrsteilnehmer auf mich, den Velofahrer, losgehen – mit Worten und Argumenten. Sollen die Ringrichter das Duell entscheiden.
Ring frei! (Hinweis: Da der Schreibende mit einem der Protagonisten identisch ist, kann im folgenden Abschnitt nicht mit einer neutralen Berichterstattung gerechnet werden.)
«Velofahrer halten sich nicht an die Verkehrsregeln». Die kräftige Rechte meines Gegners trifft mich an einer verwundbaren Stelle. Ganz geschickt hat er das gemacht, habe doch auch ich schon hin und wieder mal ein Rotlicht überfahren. Dennoch kann ich den Treffer nicht unerwidert lassen: «Viele Verkehrsregeln sind auf den Autoverkehr zugeschnitten. Deshalb sind die Regeln für die doch um einiges harmloseren Fahrräder oft unsinnig, teils schikanös. Die von Fahrradfahrern begangenen Verkehrsregelverletzungen sind deshalb in Wahrheit oft einfach gesunder Menschenverstand.» Eine zugegebenermassen argumentativ gewagte Schlagkombination. Eine, die zudem ohne Wirkung bleibt.
Mein Gegner probiert daraufhin erneut, eine kräftige Rechte zu setzten: «ALLE müssen sich an die Regeln halten». Doch darauf war ich vorbereitet und setze sogleich zum indirekten Gegenschlag an: «Bei der grosse Mehrheit aller Verkehrsunfälle mit Fremdverschulden und Verletzungsfolgen sind Automobilisten direkt involviert.»
Gezeichnet von diesem statistisch abgesicherten linken Haken, gehen dem Gegner die Argumente aus. Er lässt noch einmal einen seiner rechten Kracher folgen – ohne Wirkung.
Ich nutze diese Chance, ducke mich und bringe dann den Knock-out-Schlag an: «Rücksichtslose gibt es sowohl unter den Fahrradfahrer wie auch unter den Automobilisten. Nur sorgen Rücksichtslosigkeiten in Kombination mit grosser, träger Masse und hoher Geschwindigkeit für ungleich mehr Schmerz und Leid.»
Ob dieser schieren Motorenpower steht er taumelnd da, der Töfflifahrer, ein verletzlicher Zweiradfahrer ja auch er. Er gibt den Kampf daraufhin nicht nur auf, er wechselt gar die Seiten und flüchtet sich zu mir auf den Fahrradstreifen.
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