schliessen

Kollateralschäden und die Tragödie des Christoffelturms

Die Sanierung der Marktgasse forderte ihren Tribut. Doch in Bezug auf Kollateralschäden von Sanierungsarbeiten war man früher wesentlich unzimperlicher – das zeigt sich insbesondere bei der Tragödie des Christoffelturms.

Nach Beendigung der fünfmonatigen Sanierung der Marktgasse waren die Bernerinnen und Berner mit dem Resultat zufrieden: Keine Risse mehr in der Strasse und neue Pflastersteine aus Obwalden! So sehe die Altstadt endlich wieder aus wie ein Weltkulturerbe, erfreute sich die Bevölkerung.

Doch die Bauarbeiten forderten ihren Tribut: Ein Bauarbeiter wurde leicht verletzt, ein Swisscom-Kabel durchtrennt und der Figur des Venners aus dem 16. Jahrhundert auf dem Schützenbrunnen brachen die Füsse ab. In Bezug auf letzteres Ereignis wurde moniert, dass doch bei einer Baustelle im heiklen Milieu eines UNESCO-Weltkulturerbes mit besonderer Sensibilität vorgegangen werden müsse.

Stimmt. Dass aber in der Stadt Bern früher in Bezug auf Kollateralschäden von Sanierungsarbeiten ein anderes Klima herrschte, zeigt sich eindrücklich bei der Tragödie um den Christoffelturm. Gerne gewähren wir Ihnen als historisch versierter Blog einen kleinen Einblick in die Berner Bauturbulenzen des 19. Jahrhunderts.

Kennen Sie den Christoffelturm? Nein?

Kein Wunder – der Turm, der neben der Heiliggeistkirche gestanden hatte, wurde 1865 abgerissen. Mit einer Mehrheit von vier (!) Stimmen beschloss die Berner Einwohnergemeinde bei einer Versammlung den Tod des im 14. Jahrhundert erbauten Turms.

Denn als Bern 1848 von den eidgenössischen Räten zur Bundesstadt gekürt wurde, verbreitete sich die Ansicht, dass der Stadt das adäquate Aussehen fehle, um ihrer neuen, wichtigen Funktion gerecht werden. Der Turm wurde als Hindernis für den Fortschritt empfunden. Zudem war die Stadt neu an den Bahnverkehr angeschlossen, was den Druck, nach aussen makellos aufzutreten, noch verstärkte.

Besonders für den Abriss des Christoffelturms eingesetzt hatte sich übrigens der ehemalige Bundesrat Jakob Stämpfli. Er hatte bei der Eidgenössischen Bank ein Mandat übernommen und erlitt in seinem dortigen Büro durch den Christoffelturm eine Einbusse an Licht. Man verhielt sich also auch in Bezug auf Interessensbindungen nicht sonderlich diplomatisch.

Die Folgen des Beschlusses der Berner Einwohnergemeinde waren dramatisch: Der Christoffelturm wurde dem Erdboden gleichgemacht, der hölzerne und heilige Christopherus mit dem Christkind auf der Schulter wurde zersägt. Nur wenige Jahre später kommentierte das «Intelligenzblatt für die Stadt Bern» lakonisch, dass man damals «die Anforderungen des Verkehrs nicht mit denen der Pietät und des künstlerischen Sinnes» zu vereinigen gewusst habe. Die Rede war im Zusammenhang mit dem Abriss des Turms auch von «Vandalismus».

Man könnte also fast sagen, der Venner auf dem Schützenbrunnen habe Glück gehabt: Obwohl er durch die Sanierung der Marktgasse die Füsse verlor, wird er doch repariert und erhält einen feudalen Platz im historischen Museum. Vom Christoffelturm zeugen indes nur noch wenige Mauerreste in der Christoffelunterführung des Bahnhofs Bern.

Julia Richter


Publiziert am 7. Oktober 2013

Schlagworte

Verbleibende Anzahl Zeichen:

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.