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Metamorphosen des Berner Partyvolks

Die Berner Festkultur hat sich gewandelt. Ein Blick ins Archiv des Berner «Intelligenzblattes» zeigt: Früher gings beim Feiern um Ästhetik und um den «Augenblickserfolg».

Die Politik bemüht sich, den Bedürfnissen der Berner Partyfreunden entgegenzukommen. Dies macht die neuste Diskussion um das Berner Nachtleben-Konzept deutlich. Stadtpräsident Alexander Tschäppät erklärte in diesem Zusammenhang gegenüber Radio SRF, dass sich die Gesellschaft nun mal wandle – und man den sich verändernden Bedürfnissen offen gegenüber stehen müsste. «Als ich jung war, gab es noch Sperrstunden, da ist man um halb eins ins Bett gegangen», liess Tschäppät verlauten. Heute gehe man um halb eins in den Ausgang.

Wo aber liegen die markanten Veränderungen der Berner Partykultur? Der historisch interessierte «Haupstädter» ist dieser Frage mittels wissenschaftlich fundierter Recherche im Archiv des «Intelligenzblattes für die Stadt Bern» nachgegangen.

Während im 21. Jahrhundert vor allem über Alkoholverkaufsverbote und 24-Stunden-Öffnungszeiten diskutiert wird, legte man im 19. Jahrhundert in der Stadt Bern beispielsweise grossen Wert auf die Fest-Ästhetik: 1853 wurden im Intelligenzblatt alle Stadtberner Bürger von arm bis reich dazu angehalten, ihre Häuser mit einer «einfachen, aber geschmackvollen Dekoration» zu versehen. Denn Bern sollte sich «in seinem Ruhm und Glanz» zeigen. Die Stadt zelebrierte damals das Jubiläum des Beitritts zur Schweizerischen Eidgenossenschaft, der 1353 erfolgt war. Ein ähnlicher Aufruf wurde vor der 1. Augustfeier im Jahr 1905 in Bern im Intelligenzblatt publiziert: Die Bürger wurden ersucht, «ihrerseits durch einfaches Beflaggen oder Illuminieren der Häuser» zum Gelingen des Festes beizutragen.

Und es gibt eine weitere markante Veränderung: Während sich die partyfreudige Jugend heute mit allerlei Lärmklagen auseinandersetzen muss, herrschten zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Bern andere Verhältnisse. So setzte die Berner Stadtmusik beispielsweise an ihrer Jubiläumsfeier vom 20. August 1916 voraus, dass die «gesamte bernische Bevölkerung mit der Jubilarin Freude empfinden» werde. Lärmklagen sind bei einer derartig suggestiven Fest-Ankündigung natürlich ein Tabu. Die Stadtmusik wusste ihre Feier übrigens auch nett zu kontextualisieren – sie wurde angekündigt «in einer Zeit, da die Wogen des Krieges, dem Fortschritt entsprechend, noch höher und wilder über Europas blutgetränkte Fluren brausen».

Auch über Sinn und Zweck eines Festes wurde vor mehr als 100 Jahren anders gedacht. 1903 wurde beispielsweise Gottfried Keller mit philosophischen Überlegungen zum Thema Fest zitiert. Im Intelligenzblatt ist festgehalten, wie sich der Schriftsteller einst «keck» zur Frage äusserte, was einem denn von einem Fest so bleibe: «Und kehr ich nicht besser zurück, so wird es auch nicht schlechter sein». Ein Fest, das sei ein «Augenblickserfolg», der bestenfalls gute Erinnerungen hinterlasse.

Übrigens war Bern auch vor mehr als 100 Jahren nicht gegen Ausschreitungen gefeit: Wie Aufzeichnungen aus dem Jahr 1904 zeigen, ist im Rahmen der 1. Augustfeier «das Werfen von Feuerwerkskörpern in massloser Weise ausgeartet». Diese «bedauerlichen Ausschreitungen» wollte die Berner Stadtregierung durch die «ruhige Selbstdisziplin der Bevölkerung» unterdrückt wissen. Auch schon früher verordnete der Regierungsrat im Jahr 1890 «infolge vielfach vorgekommener, (…) organisiert gewesener Ruhestörungen und Ausschreitungen» ein Durchgreifen. Damals wurde von der Kantonsregierung ein «Platzkommandant» eingesetzt, der in Bern für Ruhe und Ordnung sorgen sollte. Eine Art Police Bern des 19. Jahrhunderts?

Nur wenige Partys gab es im Juli 1878. Damals schrieb das Intelligenzblatt: «Die Saison ist auf ihrem Höhepunkte und wer der Stadt entfliehen kann ist fort». Vielleicht könnte das Fliehen aus der Stadt heute als Geheimrezept für die partylärmgeplagte Berner Wohnbevölkerung verwendet werden.

Julia Richter


Publiziert am 18. September 2013

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