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Algen, Aale und Altmetall

Neopren-Anzug statt Bikini: Das Filmgenre Aare-Tauch-Video wartet mit wichtigen Lektionen fürs Leben auf.

Tauchen in der Aare: kann man machen, muss man aber nicht. Schliesslich gedeihen im Salzwasser nachweislich die schöneren Pflanzen, die farbigeren Fische und die saftigeren Mollusken als im Süsswasser. Ungeachtet dieses Umstands erfreut sich der Sport unter Hobbytauchern grosser Beliebtheit. Mehr noch, in der Aare zu tauchen und dabei eine Kamera auf die Unterwasserwelt zu halten, hat ein eigenes Filmgenre gestiftet: das Aare-Tauch-Video, nachzusehen auf jedem gut sortierten Videoportal.

Nicht, dass sich dramaturgische Weitwürfe einbauen lassen in ein derartiges Video: Der Ablauf – abtauchen, runterschwimmen, auftauchen – bleibt sich jeweils in etwa gleich. Und auch in Sachen Protagonisten haben die Videos keinen grossen Wiedererkennungswert. Dennoch sind sie auf ihre dezente Art aufschlussreicher als jede Aufklärungskampagne. Hier drei Beispiele:

Der Umweltaktivist:

«Where have all the fish gone?» fragt sich der Zuschauer ein bisschen wie Joan Baez dazumal, während der Taucher an einer undefinierten Stelle in der Aare knapp acht Minuten durch die Ödnis schwimmt. Die Antwort liefert der Film sofort: An diversen Velos, einem Einkaufswagen und einer mutmasslichen Gartenmöbelgarnitur führt der Tauchgang vorbei.

Jeden Fisch versteht man, der sich, des Altmetalls überdrüssig, in den Wohlensee verabschiedet hat. Der erzieherische Nebeneffekt: Der Zuschauer wird daran erinnert, wie wichtig es ist, die Beine beim Aareschwimmen einzuziehen. Es sollen sich schon Menschen Tetanus geholt haben bei der Kollision mit einem rostigen Einkaufswagen.

Der Tierfreund:

Im flotten Tempo und zum Soundtrack von «Pirates of the Caribbean» räumt der Taucher hier mit einem weitverbreiteten Vorurteil auf: dass die Aare bar jeden Lebens ist (s.o.). Hier sind also die ganzen Fische hin. Glotzt ein Wels in die Linse, schnappt ein Hechtlein ins Leere, schlängelt sich eine Äsche durch die Steinlandschaft. Der pädagogische Effekt: Der Zuschauer wird daran erinnert, wie wichtig es ist, die Beine beim Aareschwimmen einzuziehen, um sich nicht unversehens in den Barthaaren eines Riesenwels zu verfangen.

Der Abenteurer:

Der MTV-Clip unter den Aare-Tauch-Erzählungen wurde zwischen dem Eichholz und dem Marzili aufgenommen. Unterlegt ist die knapp zwei Minuten lange Sequenz von einer gemeinen Technoweise, schnelle Schnitte sorgen für zusätzliches Tempo, hier wird etwas geboten: Der Kameramann setzt seinen Kollegen in Szene, am Zuschauer wetzen die Algen vorbei, da schiesst ein Velo und da ein Fisch im Profil vorüber.

Wie gehabt, möchte man sagen, doch dann biegt unversehens ein Spannungsbogen um die Ecke. Der Taucher hebt vom Boden eine Schatulle auf, ganz offensichtlich eine Schatzkiste. Auf den letzten Metern vor dem Ausstieg im Marzili wälzt der Zuschauer Fragen: Was für ein Schatz könnte sich bloss in der Kiste befinden? Geld? Schmuck? Die Antwort auf alles?

In der letzten Szene schliesslich bricht der Taucher die Schatulle auf und findet – nichts. Der pädogische Effekt: Der Zuschauer wird daran erinnert, dass das vermeintlich Unspektakuläre (Flusstauchen) manchmal erstaunlich spektakulär ist, während sich das vermeintlich Spektakuläre (Schatzkiste) manchmal erstaunlich dröge ausnimmt. Und dass selbst ein toller Hecht im Neopren-Anzug einmal leer ausgehen kann.

Hanna Jordi

Hanna Jordi lebt in Bern seit 1985. Etwas anderes hat sich bislang nicht aufgedrängt.


Publiziert am 26. August 2013

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