
Die Treppen der Tapferen
New York hat einen, Singapur auch, Wien genauso, ja selbst Basel kennt ihn: Den Treppenlauf. In Bern sucht man ihn vergebens. Dabei gibt es hier den perfekten Turm für den härtesten Treppenlauf der Welt.
Es gibt sie in sämtlichen Grossstädten dieser Welt: Hochhäuser. Manche sind so hoch, dass deren Besteigung eine solide sportliche Verfassung voraussetzt. Grund genug für Lauffanatiker, sich zu Wettrennen bis zur obersten Etage zu treffen. So wird zum Beispiel im Empire State Building (1576 Stufen), im Taipei 101 (2046 Stufen) oder im Wiener Millennium Tower (2529 Stufen) einmal im Jahr auf den Lift verzichtet und durchs Treppenhaus gerannt. Eine sinnvolle Beschäftigung – denn spätestens seit Rockys Training an den Treppen des Philadelphia Museum of Art (lediglich 72 Stufen), ist es kein Geheimnis mehr, dass man alles erreichen kann, wenn man nur genug treppenläuft.
Doch in Bern wird es schwierig mit dem Stufensteigen. Denn ob Alexander Tschäppäts Vision eines Hochhauses (Stufenzahl unbekannt) auf der Schützenmatte je umgesetzt wird, steht in den Sternen. Na gut, der Fernsehturm Bern-Bantiger mit einer Höhe von 195 Metern (achthöchstes Bauwerk der Schweiz) würde sich bestimmt zu besteigen lohnen. Und am Niesen steht sogar die längste Treppe der Welt (11’674 Stufen). Doch zentrumsfixiert wie wir sind, kommen wir gar nicht erst auf die Idee, in der Peripherie treppenzusteigen.
Warum auch. Schliesslich verfügt die Stadt über das höchste Sakralgebäude der Schweiz: Das Berner Münster. Der Turm hat lediglich 344 Stufen, trotzdem könnte ein Münsterturm-Rennen zum härtesten Treppenlauf der Welt werden. Denn während Nobelbauten wie das Empire State Building über verhältnismässig lange, gerade Strecken verfügen, dreht sich im Münsterturm alles im Kreis. Da muss schon aufgepasst werden, dass man sich keine Knoten in die Beine läuft. Aber das ist ja noch nicht einmal das Schlimmste. Denn der Weg an die Spitze ist so eng, dass ein Überholen ohne Gewaltanwendung kaum möglich ist. Das verleiht dem Rennen eine Extraprise Klaustrophobie und Darwinismus. Wer sich also dem Münsterturm-Rennen stellen will, sollte schon verdammt tough sein.
Natürlich, die christliche Fraktion wird zetern, dass in Gottes Haus nicht gerannt werden darf. Doch ambitionierten Treppenläufern wird das egal sein. Denn schliesslich fängt Sport erst dort an, wo der olympische dem Heiligen Geist den Rang abläuft. Mit diesem Gedanken besuchten wir den Münsterturm für einen ersten Probelauf. Fünf Franken Startgeld bezahlt, Stoppuhr bereit, los. Die Wendeltreppe lässt die Strecke etwas einseitig erscheinen. Die Höhe der Stufen ist grösser als bei herkömmlichen Treppen. Nach der ersten Minute leichtes Ziehen in den Oberschenkeln, in der Lunge beginnt es zu zwicken.
Nach 254 Stufen ist die erste Galerie erreicht. Herzschlag erhöht, leichtes Schwindelgefühl. Gut zu wissen: In der Ecke hängt ein Defibrillator. Jetzt nicht aufgeben. Noch 90 Stufen bis zum Ziel. Oben angekommen weist ein Schild darauf hin, dass hier Rauchverbot herrscht. Apropos rauchen: Ohne hätte der Testlauf vielleicht etwas besser geendet als mit etwas erbärmlichen 3″05′. Doch vermutlich bleibt noch genug Zeit, um zu trainieren, bis es zum ersten offiziellen Münsterturm-Rennen kommt.
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