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  • Morgens um sechs vor der Reitschule: Aufbaustimmung.

  • Die Devise ist: Sei nett zu mir und du kriegst die Ware billiger

  • Noch mehr Zombies? Splatter? Nein, so sieht ein Jeansstand in Vorbereitung aus.

  • Kunterbuntes Flohmarkt-Treiben, leicht angefeuchtet.

  • Bücher stellen sich als Ladenhüter heraus. Selbst gratis will niemand Heinz Strunk mit nach Hause nehmen.

  • Auch dieser Traum eines Blazers findet kein neues Zuhause.

Ramsch und Moral auf dem Altkleidermarkt

Jeden ersten Sonntag im Monat gibt es in und vor der Grossen Halle vor der Reitschule einen Flohmarkt. Wer selbst Ramschware loswerden will, gerät schnell in den Machtrausch der Besitzenden.

Unsere diversen Altkleidersäcke sind noch nicht einmal abgestellt, als sich die morgendlichen Flohmarkt-Besucher und vor allem -Besucherinnen bereits auf uns und unser Hab und Gut stürzen. «Halt! Die Kleiderstange brauchen wir noch, das wird unsere Ladenfläche», verteidigen wir uns, «Nein! Die Jeans sind nicht zu verkaufen! Nein, auch nicht für einen Zehner, ich hab’ sie schliesslich noch an!» Selbst für das Stofftuch, das als Unterlage dienen soll, gibt es Angebote.

Das Projekt eines Standes am Reitschul-Flohmarkt stellt sich vorab mal als Tortur dar. Da heisst es Ware zusammensuchen, um fünf Uhr früh aufstehen, den ganzen Kram zur Reitschule schaffen, und dann auch noch anstehen für den Standplatz. Der Organisation der Grossen Halle ist aber ein Kränzchen zu winden: Früher, da prügelte man sich in der Morgendämmerung sozusagen um seinen Platz beim «wilden Reservieren». Heutzutage wartet die einst so rabiate Händlerschar brav in Reih und Glied, bis die Laufmeter zugewiesen werden.

Endlich ist der Stand aufgebaut. Das Geschäft läuft angesichts unseres zusammengewürfelten Haufens an Kuriositäten und alten Kleidern überraschend gut: Die champagnerfarbene Monstrosität einer Lederhose, gefunden in den Untiefen des Kellers, geht an einen Mann mit Cowboyhut, der sie mit stolzgeschwellter Brust seinen Kollegen präsentiert. Selbst den geradezu schmerzhaft hässlichen CD-Ständer aus Teenie-Tagen werden wir los, und ja: Es gibt tatsächlich Abnehmer für eine halbgefüllte Einweg-Kamera. Kurz: Wir machen Kohle.

Nicht dass es darum gehen würde, aber nicht doch. Der Grossteil unserer Ware hat den vagen gemeinsamen Nenner der jahrelangen Nichtbenützung – Hauptziel ist, die ohnehin tiefe Standmiete wieder einzubringen; finanzieller Gewinn ist eine nette Dreingabe. Unversehens geraten wir so in den Machtrausch der Besitzenden, denn wir sind in der bequemen Lage, nicht verkaufen zu müssen, wenn uns die Kundschaft nicht passt. Oder natürlich absurd hohe Preise zu verlangen. «Hässliches Kleid! Aber perfekt für die Fasnacht», sagt eine Kundin. «20 Franken! Nein, gehandelt wird nicht!» finden wir beleidigten Königinnen des Altkleidermarktes, und vergeben die türkisfarbene Blüte der 70er-Jahre zehn Minuten später an eine charmantere Käuferin, die den Preis ohne Widerstand unsererseits auf wenige Franken herunterhandelt.

Natürlich reihen wir uns damit nahtlos in die Fronten des traditionellen Flohmarkt-Krieges ein; den Kampf zwischen professionellen Händlern und spasseshalber Ramsch-Loswerdenden. Ein Mann, der Schuhwerk offensichtlich weiterverkaufen will (es sei denn, er hat persönlich Verwendung für pinkfarbene Lederpumps und ähnliche knöchelstrapazierende Ungetüme), wird wütend, als wir uns weigern, ihm fünf Paare mit Mengenrabatt abzugeben. Ein zweiter ist gewillt, eine Viertelstunde zu feilschen, um den Preis einer alten Sonnenbrille von zwei Franken auf einen Franken zu drücken. Nicht mit uns: Unsere Schätze sollen würdige Abnehmer und Abnehmerinnen finden, auch hässliche Schuhe haben das Recht auf eine liebevolle Besitzerin. Schnödes Gewinnstreben ist am moralisch selbstgerechtesten aller Flohmi-Stände verpönt.

Unsere Moraltour («Geld spielt keine Rolle») kommt kurz neben die Spur, als wir feststellen, dass unsere Einnahmen wenn auch nicht gerade fett, so doch von beleibter Natur sind – einen Augenblick lang kommt Reue auf, dass wir nicht doch ein bisschen hartnäckiger gefeilscht haben. Wir stemmen uns gegen die innere Profitgier, indem wir losziehen und gleich massig Geld für neue Fundstücke (a.k.a. Ramsch) verpulvern. Nächsten Monat gibt’s schliesslich wieder einen neuen Flohmi.

Gianna Blum

Gianna Blum hat 2006 das Land- gegen das Stadtleben eingetauscht und sucht immer noch nach dem Unterschied. Für Hinweise ist sie dankbar.


Publiziert am 7. August 2013

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