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  • Vorher: Lauter feine Sachen zum Mitnehmen. Auch da: Paulo Coelho.

  • Nachher: Die Kiste ist ausgeweidet. Bloss das Papp-Plakat entpuppt sich als Ladenhüter. Zu martialisch?

Von Grafikergespannen und Thermoskannen

Die «Zum Mitnehmen»-Box gehört zu den beliebtesten Massnahmen, um sich seines Gerümpels zu entledigen. Doch das Geschäft läuft schleppend an. Lässt sich daran der Wohlstand einer Quartiergesellschaft ablesen?

Endlich. Er sieht nun aus wie einer, der eine 1a-Thermoskanne, kaum benutzt und sorgfältig ausgewaschen, gut gebrauchen kann. Doch die Zielperson würdigt das Warmhaltewunder keines Blicks, geht einfach an den hübsch drapierten Gegenständen in der «Zum Mitnehmen»-Box vorbei. Kostverächter.

Was ist nur los mit den Leuten? Noch vor wenigen Jahren gehörte die «Zum Mitnehmen»-Box zu den sichersten Methoden, sich des Ramschs zu entledigen, der sich über die Jahre hinweg im Haushalt angesammelt hat. Ich erinnere mich an die letzte Zügel-Aktion: Nach nur einer Stunde war nicht nur der «Zum Mitnehmen»-Korb gänzlich ausgeweidet. Nein, auch der Korb selbst war weg.

Doch nun, im Juni 2013, an der Ecke Schulweg/Lorrainestrasse, läuft die Aktion mehr als schleppend an. Von meinem Spähplatz auf der gegenüberliegenden Strassenseite aus kann ich die Reaktion der Passanten mitverfolgen. Fast muss ich aufpassen, das spitzfingrige Gebaren der Mitmenschen – sondieren, verwerfen, abdrehen – nicht persönlich zu nehmen. Dabei blieb kein Trick in der Schublade. Der Platz für die Kiste ist mit Bedacht gewählt, schön exponiert an der Kreuzung, leicht erhöht auf einem Steinquader, damit sich der geneigte Kunde nicht bücken muss. Die Kiste ist nicht mit «Gratis» angeschrieben – das klingt verzweifelt –, sondern mit «Zum Mitnehmen», das macht den Anschein einer Einladung.

Wieso also die Zurückhaltung? Ist die viel beschworene Gentrifizierung der Lorraine schon so weit fortgeschritten? Haben die doppelverdienenden Grafiker- und Ärzte-Gespanne keine Thermoskanne nötig? Die brauchen gar nicht so hochnäsig zu tun. Bloss weil ich keine Verwendung mehr für den Schmus habe, ist er noch lange nicht minderwertig. Feine Dinge stehen zur Auswahl:

  • Militärgurt, mit Extraloch für schmalere Hüften
  • Ledermappe (echt), etwas abgefingert, aber funktionstüchtig
  • Ess- und Trinknapf des Hundes selig, grün, aus Plastik, sauber
  • Foulards, eines sogar mit SBB-Logo
  • Lidschatten mit «Mineralpartikeln», unangetastet, allerdings türkis bis violett
  • Weckgläser, praktischerweise schon etikettiert («Griottes 07» und «Mûres 05»)
  • Bücher, englisch
  • Bücher, deutsch, etwa von Herzensautor Thomas Glavinic, wenn auch sein mit Abstand schlechtestes Werk («Lisa», 2011), sowie eins von Paulo Coelho, dafür mit Widmung («Für H., Weihnachten 2008»)
  • Porzellanhase, intakt
  • Handtaschen, kunstledern, in modischen Farben, Reissverschlüsse teils defekt
  • Tolles Karton-Plakat eines Buchverlags, mit Riesenknarre drauf und einer Aufschrift («Krimis»)
  • Thermoskanne mit 2,5 Liter Fassungsvermögen, sauber

Als ich die Hoffnung gerade aufgeben will, stellt sich der Wandel ein. Es ist Mittag, Ströme von Büromenschen, Gewerbeschülern und Grafikfachkräften ergiessen sich über die Lorrainestrasse. Zwei Stunden hats gedauert, doch jetzt zieht das Geschäft an. Da, der Lidschatten verschwindet in der Handtasche einer jungen Frau: Gute Reise! Die Thermoskanne geht an eine Dame mit Kinderwagen: Viel Freude damit. Paulo Coelho macht einen Abgang im Rucksack eines älteren Herrn: Auf zu neuen Gedankenufern.

Sogar die Kunstlederhandtaschen erhalten neue Besitzer. Wie hoch das Einkommen der Lorrainebewohner inzwischen auch sein mag, sie beharren noch nicht durchwegs auf Echtleder. Ungeachtet ihres mutmasslich beachtlichen steuerbaren Vermögens schlagen sie zu, sobald es Dinge kostenlos abzustauben gibt. Sie sind tierliebend, eingeweiht in die Wunder der Marmeladenzubereitung und beherrschen die englische Sprache. Bloss das Plakat bleibt liegen. Es ist aber auch etwas sperrig.

Hanna Jordi

Hanna Jordi lebt in Bern seit 1985. Etwas anderes hat sich bislang nicht aufgedrängt.


Publiziert am 5. Juni 2013

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