
Dramaturgie am lettischen Herd
Heute erfahren Sie, wie man den «Moonshine» macht, der selbstgebrannte Schnaps der lettischen Grossmütter. Aber Achtung: Kochen Sie dieses Rezept nicht nach, es wäre womöglich eine Straftat.
Ich weiche heute für einmal ein bisschen von meiner üblichen Linie ab. Ich schreibe für einmal nicht über ein Rezept meiner Grossmutter, sondern über eines von fremden Grossmüttern, lettischen Grossmüttern, um genau zu sein. Und für einmal rege ich Sie nicht zum Nachkochen an, denn das wäre möglicherweise Anstiftung zur Straftat – doch so sicher bin ich mir da nicht.
Beruflich bin ich mit dem Berner Theaterfestival Auawirleben verbandelt, welches in den letzten Wochen zum 31. Mal tobte. Dieses Jahr beglückte unter anderem die lettisch Künstlergruppe Serde mit ihrem Projekt «Moonshine» das Publikum. «The moonshine workshop is an artistic interpretation about making strong drinks at home», steht auf dem Abendzettel. Die beiden Initiatoren, Signe Pucena und Ugis Pucens, beschäftigen sich in verschiedenen Projekten mit auf dem Land noch existierenden, traditionellen kulturellen Lebensformen, eben auch mit dem Schwarzbrennen. Dieses hatte besonders während der sowjetischen Besetzung Lettlands eine grosse Bedeutung für die Bevölkerung, war es doch eine kleine, stille Revolte mit einem ganz praktischen, handfesten und hochprozentigen Ziel.
Wichtig war jedoch, dass dazu keine speziellen Brennereianlagen verwendet wurden, denn die hätten die Straftäter bei einer Kontrolle sofort entlarvt. Stattdessen entwickelten die lettischen Grossmütter und Grossväter Methoden, wie sie ihren illegal gebrannten Schnaps, international «Moonshine» oder lettisch «kandža» genannt, mit ganz alltäglichen Haushaltsartikeln gebraut werden kann, so dass im Nu alles aufgeräumt und vertuscht werden konnte.
Man setzt also erst einmal die Maische an. Am einfachsten geht das mit Wasser, Zucker und Hefe (auf ca. 40 l Wasser kommen ca. 10 kg Zucker und ca. 5 Päckli Trockenhefe – jeweils mit Betonung auf «ca.»). Das lässt man dann (ca.) zwei Wochen bei Zimmertemperatur stehen (abgedeckt, aber nicht verschlossen). Man kann dieser Basismaische vor dem Fermentieren aber auch diverse Geschmäcker beifügen: Konfitüre-Resten, Kartoffeln, Beeren, was halt gerade so in der Speisekammer liegt. Nach zwei Wochen schmeckt das dann so ein bisschen wie weisser Sauser.
Dann beginnt der Spass: das Brennen. Dazu bräuchte man – wenn man’s denn machen wollen würde: eine Herdplatte, einen grossen Kochtopf (klassische «Spaghetti-Pfanne» o.ä.), eine kleine hitzebeständige Schüssel mit einem etwas kleineren Durchmesser als der Topf und eine grosse, eher flache Schüssel, welche gross genug ist, um als Deckel für den Kochtopf verwendet zu werden (der Boden der flachen Schüssel muss kleiner sein, als die kleine Schüssel) und einen Unterteller. Ferner braucht man: ein Laib Brot, Eis und Geduld oder unterhaltsame Brennpartner.
Man legt also nun als erstes den Unterteller verkehrt in den Kochtopf. Er wird eine Art «Füsschen» für die kleinere Schüssel bilden. Dann giesst man ein paar Schöpfkellen der Maische in den Topf und stellt die kleine Schüssel auf das Füsschen. Mit der grossen Schüssel deckt man den Topf ab. Da aus dieser Assemblage nun nichts an Dampf entweichen darf, dichtet man den Spalt zwischen Topf und grosser Schüssel mit angefeuchtetem Brot ab. Fertig ist die kleine Destillerie! Nun dreht man den Herd an und legt in die obere Schüssel zwei Handvoll Eis.
Was nun geschehen soll, ist, dass der Alkohol der Maische verdampft, an der oberen Schüssel kondensiert und in die kleinere Schüssel runtertropft. Dazu muss man natürlich sicherstellen, dass die Maische nie richtig kocht, denn sonst verdampft das Wasser mit und der Schnaps wird verunreinigt. Das macht man allerdings nicht etwa mit einem Thermometer, sondern mit Hand und Ohr: man lauscht immer wieder am Topf (Achtung Verbrennungsgefahr!), ob das nicht etwa blubbert, und fasst mit der Hand an den Topf. Laut Ugis ist die Temperatur genau dann richtig, wenn man den Topf gerade noch so berühren kann. Das Eis sollte immer mal wieder mit frischem ersetzt werden, damit die obere Schüssel so kühl wie möglich bleibt.
Nach (ca.!) einer Stunde Geduld kommt dann die Belohnung: Man darf endlich den Brotring sorgfältig abkratzen und die obere Schüssel heben. Und da liegt er nun, der Moonshine, ganze 0,5 cm hoch. Das reicht für ca. 5 kleine Degustationsportionen, aber das ist auch gut so, denn die beiden Experten von Serde tönten es schon an: Der erste Versuch ist nie wirklich zufriedenstellend. Da gäbe es in allen Herstellungsphasen noch einiges herumzupröbeln. Signe empfiehlt, man könne auch halbvolle Weinflaschen nach einer Party zur Maische giessen oder Bier. Wenn das Ergebnis zu wässerig ist, war der Topf wahrscheinlich zu heiss; wenn’s süss ist, war die Maische zu wenig fermentiert.
Wenn das mit den Gesetzen nicht wäre, könnte man statt eines Lese- einen Brennzirkel machen und monatlich einen neuen Versuch testen. Man hätte vielleicht ein neues Hobby. Nicht weil’s besonders gut schmeckt, sondern weil’s wahnsinnig Spass macht und weil eine Stunde lang auf einen Topf starren und auf den eigenen Moonshine warten vielleicht der perfekteste dramaturgische Bogen überhaupt bildet.
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