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Party-Test: Die dunkle Seite des Älterwerdens

Was bringt die Menschen dazu, Ü30-Partys zu feiern? Wer dieser Frage auf den Grund gehen möchte, muss ein recht unerschrockener Zeitgenosse sein.

Warum gehen Leute auf Ü30-Partys? Um den aufgedrehten Frühzwanzigern auszuweichen, die die regulären Clubs bevölkern und einen daran erinnern, dass man den Zenit der Lebensenergie bereits überschritten hat? Richtet sich diese Institution an jene, die mit den Moden der Jungen so gar nichts mehr anfangen können und lieber tausendmal die Hits aus dem letzten Jahrhundert hören?

Soll man dort hingehen, damit man als 36-Jähriger gar nicht erst in Versuchung kommt, ungeschickt die hübsche 20-Jährige anzutanzen, die auf dem Dancefloor lasziv die Hüften kreisen lässt, weil das doch nur in einer Erniedrigung und einem Frustsuff enden würde? Oder sind unter Partygängern älteren Semesters die Chancen, den Mann oder die Frau fürs Leben oder die nächste Nacht zu finden einfach viel grösser?

Ich suchte die Antworten auf diese Fragen am vergangenen Samstag im Wasserwerk. Dort findet jeden zweiten Samstag im Monat eine Ü30-Party statt.

Eine gewisse Skepsis beschlich mich bereits vor dem Eingang, den vier kräftige Türsteher mit Anzug und Krawatte bewachten. Ein Blick an die Kasse und ins Innere des Lokals offenbarte gähnende Leere, dabei war es bereits 23 Uhr und der Club seit einer Stunde geöffnet. Ich hatte gedacht, dass die über 30-Jährigen, die beim Tanzen nur noch selten bis in die frühen Morgenstunden durchhalten, die Clubnacht entsprechend früher beginnen würden.

Normalerweise wäre ich gleich umgekehrt. Aber ich war ja beruflich hier. Also ging ich rein, bestellte an der Bar ein Bier und schaute mir die Gäste an, die spärlich eintrudelten, während der DJ jazzige Downtempo-Breakbeats spielte, die nach 1994 klangen. Eines war schnell klar: Dieser Event zog eher ein ländliches als ein städtisches Publikum an. Eines, das sich um Mode einen Dreck schert. Oder darunter etwas völlig anderes versteht als ein Städter. Eine Mischung aus «Bauer, ledig, sucht» und «Das Model und der Freak», bloss ohne die Models. Eine garantiert Hipster-freie Zone.

Warum aber waren die Leute hier? «Die Jungen in den anderen Clubs saufen mir zu viel», sagt Fäbu, 31. Seine Begleiterin Petra, 33, findet, es gebe sonst keine guten 80er- und 90er-Partys in Bern. Markus, 41, spricht aus, was andere nur andeuten: «Es geht um die Frauen!»

Nicht allen Frauen geht es aber um die Männer. Tamara, 34, ist mit drei Freundinnen aus der Region Murten angereist. Sie seien alle verheiratet und gingen gerne auf Ü30-Partys, weil sie hier nicht angemacht würden, sagt sie. Ich bin schockiert.

Der DJ hat unterdessen aufgedreht, sowohl musikalisch wie auch lautstärkenmässig. Er spielt alles, was Leute mögen, die sich sonst nicht so für Musik interessieren: Dire Straits, James Brown (dreimal in zwei Stunden), Prince (viermal), Red Hot Chili Peppers, Eric Clapton. Der aktuellste Song der ganzen Nacht ist «Song 2» von Blur, diese schreckliche Hymne für Karaokesänger und Volltrottel aus dem Jahr 1997: «Whoohoo!»

Die Tanzfläche ist um Viertel nach zwölf nicht einmal ansatzweise gefüllt. Die übermässige Lautstärke und die trostlose Leere bilden einen seltsamen Kontrast. Ein paar Männer bewegen unmotiviert ihre Oberkörper im Takt und versuchen, dabei gut auszusehen. Die wenigen Frauen schenken ihnen keine Beachtung und tanzen ihren eigenen Tanz. In den dunklen Ecken stehen ein paar resigniert dreinblickende, unscheinbare Männer, die bestimmt schon auf die 50 zugehen und wohl ihre letzte Chance, doch noch eine Frau im gebärfähigen Alter kennenzulernen, langsam aber sicher schwinden sehen.

Ein beengendes Gefühl steigt in mir hoch. Wäre die Aare jetzt wärmer, ich würde glatt aus dem Fenster springen. Stattdessen hole ich mir das vierte Bier.

Dann, um halb Eins, geschieht das Unfassbare: Der Club beginnt sich zu leeren. Um halb Eins! Wenn andernorts die Schlange vor der Kasse am längsten ist. Die Leute scheinen sich regelrecht in Sicherheit zu bringen vor dem Grauen, das diesen Ort ergriffen hat. Wem die gute Laune noch nicht gänzlich vergangen ist, der geht woanders hin, andere lenken ihre Autos einsam wieder in Richtung Emmental oder Seeland. Rette sich wer kann! sage auch ich mir, stürze mein Bier hinunter, eile an den gelangweilten Türstehern vorbei auf die kühle Strasse und wische mir den Angstschweiss von der Stirn.

Ü30-Partys? Nicht mit mir. Nicht in diesem Leben.

Publiziert am 13. Mai 2013

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