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  • Nichts für Rebellen: Die Weiterfahrt ist explizit erlaubt.

  • Bloss in Sachen Vandalismus soll man sich zurückhalten.

  • Sogar mehrsprachig verbrieft: Eine Weiterfahrt ist gefahrlos möglich.

  • Auf dem Scheitelpunkt des Paternosters präsentiert sich aber das gleiche Bild wie ehedem: finster, ölig, verkritzelt.

  • Die gefettete Kette erledigt ihre Arbeit bereits seit 1974 zuverlässig.

Kindisches Vergnügen

Drinbleiben, bis es dunkel wird. Und ölig. Eine Fahrt im einzigen öffentlichen Paternoster der Schweiz ist eine Reise in die eigene Kindheit.

«Weiterfahrt gefährlich» stand bei den letzten Stockwerken jeweils, und man sah der Gefahr noch so gern ins Auge. Am Scheitelpunkt wars finster, knapp nur konnte man die schwere, gefettete Kette erkennen, die den Lift am Laufen hielt, es klebten da die Kaugummis von Vorgängern, besonders Verwegene kritzelten fix noch Botschaften hin. Es ächzte und rumorte, die Kabine ruckelte. Und dann war der Spuk auch schon wieder vorbei, die Umlaufbahn des Lifts entliess einen nach wenigen Sekunden aus dem Maschinengedärm an die frische Ladenluft des Sportgeschäfts Vaucher.

Was kamen wir uns verboten vor dabei! Rebellisch und furchtlos. Wie Generationen von Kindern vor uns haben auch wir massenhaft Nachmittage beim Liftfahren im Vaucher verbracht. Es wurde geliftelt, dass es eine Freude war, und der köstlichste Augenblick bestand jeweils darin, die letzte Ausstiegsstelle im -1. oder 4. Stock verstreichen zu lassen, um die Runde ganz fertig zu machen. Ja, der Paternoster, dieser König der Vertikalen, dieser Bezwinger der Zauderer, dieses Prachtsexemplar der nützlichen Endlosschlaufen, er ist eine echte Attraktion. Und der letzte öffentlich zugängliche seiner Art in der Schweiz. Aufgereiht wie die Perlen am Rosenkranz drehen sich seine Beförderungskapseln im Kreis, 3 Minuten und zwei Sekunden dauert eine Umrundung in einer der vierzehn Kabinen.

Wer allerdings nun sein Erwachsenenalter nutzt, um diese Erinnerungen aufleben zu lassen, wird staunen: Auf den letzten Metern vor dem letzten Ausstieg steht jetzt nicht mehr «Weiterfahrt gefährlich», sondern «Weiterfahrt erlaubt». Der ehemalige Akt der Rebellion ist heute offenbar akzeptierter courant normal. Mehr noch: Eine Tafel im letzten Stock informiert einen explizit und mehrsprachig darüber, wie harmlos das Vergnügen der Weiterfahrt doch ist. «Continuar permitido» und so weiter. Natürlich, das dunkle, ölig-glänzige Erlebnis ist dasselbe geblieben, doch das verruchte Gefühl ist weg.

Warum und weshalb? Wie ist dieser Gesinnungswandel vonseiten des Sportfachhändlers zu begründen? Die «Hauptstädter»-Recherche bringt Erstaunliches zutage: Das aktuelle Laisser-faire-Prinzip im Vaucher ist gar nicht so neu. Es sei noch nie besonders verboten gewesen, über die letzten Stockwerke hinaus im Lift zu bleiben, gibt die Vaucher-Geschäftsleiterin Esther Leuenberger zur Auskunft. «Es wurde zwar nicht gefördert, aber doch geduldet.»

Doch wogegen haben wir Kinder dann opponiert? War der Hinweis «Weiterfahrt gefährlich» bloss eine Farce? Billige Angstmacherei? Leuenberger kann sich das Missverständnis nur so erklären: «Zeitweise stand ‘Weiterfahrt ungefährlich’», schliesslich hätten die Betreiber nicht riskieren wollen, dass die Passagiere in Panik geraten, wenn sie den letzten Ausstieg verpassten. «Die Vorsilbe ‘un-‘ muss dann jemand weggekratzt haben», sagt Leuenberger. Also waren doch Vaganten am Werk. Bloss waren es andere als wir.

Ein Trost bleibt uns im Nachhinein für unbescholten erklärten Strolchen doch: Wer sich als Mitglied der Ü-20-Jährigen aufmacht, um im Vaucher-Lift dem kindischen Vergnügen zu frönen, der darf sich zumindest auf ein paar scheele Blicke von Angestellten und Mitkunden freuen. Ein halb-verwegenes Abenteuer nurmehr. Aber immerhin.

Hanna Jordi

Hanna Jordi lebt in Bern seit 1985. Etwas anderes hat sich bislang nicht aufgedrängt.


Publiziert am 12. April 2013

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