
Bern: Alt und stinkig, aber mit guten Bären
Ein Besuch auf Tourismusplattformen zeigt: Der Zytglogge ist nicht so gut wie die Prager Rathausuhr, und in der Matte riechts übel. Zum Glück halten überzeugte Bernerinnen und Berner mit einer PR-Offensive entgegen.
Wenn der Winter ausserterminlich vorhält und der Sandstein so grau ist wie der Himmel, kann selbst der loyalste Hauptstädter seiner Wohngemeinde überdrüssig werden. Ein unverbrauchter Blick auf Bern tut Not: Was finden Touristen an dieser Stadt bemerkenswert? Frei nach der Losung: Wenn etwas akut gefällt, müsste es auch stationär hinreichen.
Aufschlussreich ist der Blick auf Tourismus-Plattformen wie Virtualtourist.com oder Tripadvisor.de . Dort bewerten meinungsfreudige Besucherinnen und Besucher die Attraktionen Berns nach ihrer Sehenswürdigkeit. Doch eine erste Durchsicht bringt vor allem eins zutage: Längst nicht alle Kommentare sind dazu angetan, Bern lieb zu gewinnen.
Da ist zum Beispiel die Matte: Gedrungene Häuser, altehrwürdiges Pflaster, jede Ecke atmet Stadtgeschichte. Ein schmucker Ort, würde man meinen. Doch der unbedarfte Bern-Tourist, der online nach empfehlenswerten Sehenswürdigkeiten sucht, wird eines Besseren belehrt: Die Matte sei überhaupt nicht etwa charmant, sondern «old and smelly», findet Stadtkritiker Tein S aus Toronto, Kanada.
Bevor sich jetzt reihenweise Mattebewohner und Bernverfechter angegriffen fühlen und aus Rache den Touristen vor dem Zytglogge die Bauchtäschchen vom Nabel klauen, muss gesagt werden: Tein S aus Toronto findet sehr wenige Dinge gut. Sein Kommentar zum Bundeshaus lautet: “Nackte Kinder tanzen im Wasser, welches dreckig und übelriechend ist”. Doch auch wenn Tein S mit seinen Unmutsbekundungen in der Minderzahl ist: Berns Touristen sind um markige Voten im Allgemeinen nicht verlegen. Bern ist laut Chris B aus Diessenhofen etwa Stätte des «worst museum in Europe» (Alpines Museum). Und auffällig oft wird angesichts des Zytglogge der Vergleich mit der imposanten Prager Rathausuhr bemüht. Ein Vergleich, dem das hübsche Berner Uhrwerk offenbar nicht ohne weiteres standhält.
Wer jetzt bereits den Wegzug aus Bern erwägt, nach Prag oder Toronto vielleicht, sollte nichts überstürzen. Freilich finden viele Touristen die Bundeshauptstadt durchaus gewinnend. Von echten Liebesanwandlungen gar zeugen manche Voten. Sie sind geeignet, den aufkeimenden Winterkoller im Handumdrehen zu beheben. Was leben wir doch in einer schönen Stadt: In einer mit «der schönsten und kompaktesten Altstadt in Europa». In einer mit «diesen netten und höchst interessanten Tieren», namentlich Bären. In einer mit einem «einfach nur tollen» Bahnhof. Balsam.
Den allerdringlichsten Beweis, weshalb Bern nicht nur eine Reise lohnt, sondern eventuell sogar eine feste Postadresse, erbringen allerdings die Bernerinnen und Berner selbst. Nicht wenige fühlen sich bemüssigt, die Vorzüge Berns für surfende Touristen herauszustreichen: So stammen drei der letzten acht «Bewertungen von Reisenden» zur Berner Altstadt von begeisterten Einwohnern.
Ob diese «Reisenden» Teil einer ausgeklügelten PR-Offensive sind und allenfalls gar auf der Lohnliste des städtischen Präsidialdirektion stehen, oder ob dieses Phänomen auf echtes Fantum zurückzuführen ist, kann hier nicht geklärt werden. Wir hoffen auf Letzteres.
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