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  • Der Starter-Teller.

  • Fischstäbli.

  • Tiramisu zum Schluss.

Die 80er auf dem Teller

Wonach schmeckten die 80er? Unsere Herd-Kolumnistin Nicolette Kretz bereitet ein Nostalgie-Menü zu – mitsamt Toast Hawaii.

Wie die meisten stand auch ich an Sylvester unter dem Einfluss einer bewusstseinsverändernden Substanz, sehr wahrscheinlich Alkohol. Als ich ein paar Tage später eine Nachricht mit einem Link zu 80er-Jahren-Rezepten und den Worten «Igitt, das war eine schlechte Idee» kriegte, realisierte ich erst das Ausmass der Konsequenzen. Stück für Stück rekonstruierte ich, dass ein Freund und ich auf die hirnverbrannte Idee gekommen waren, ein 80er-Jahre-Znacht zu kochen. Wieso? Das wissen die Götter!

Ein wildes Brainstormen begann also im Freundeskreis: wonach schmeckten die 80er? Büchsenravioli oder Riz Casimir? Beides war früher. Quick Lunch und Stalden Creme? Zu einfach. Mah Mee oder Nasi Goreng? Mit den Essgewohnheiten der Eingeladenen nicht vereinbar. Tatarenhut oder Tischgrill? Geräte nicht vorhanden. Ich konsultierte die Notizhefte meiner Grossmutter, welche nicht gerade Massen von Rezepten aus dieser Dekade aufweisen. Doch immerhin,der 80er-Dessertklassiker schlechthin war drin: Tiramisù! Für die übrigen Gänge mussten also etwas Kreativität her.

Vorab servierte ich schliesslich ein kleines Vorspeisen-Medley aus der Zeit: Kleine Toast Hawaii, die allerdings auch mit frischer Ananas anstelle vom Büchsenprodukt nicht aufgewertet werden konnten – ist und bleibt eklig. Dazu Oliventapenade auf Blätterteigrondellen, welche 1985 zum ersten Mal in einer Betty Bossi erwähnt wurden. Dort wurde die Paste als Spezialität aus Südfrankreich gefeiert, doch einige lernten sie damals in den Toskana-Ferien auf Crostini kennen. Den Teller garnierte ich mit Rucola-Salat mit Aceto-Balsamico, die ebenfalls beide in den 80ern von Italien in die Schweiz überschwappten.

Für den Hauptgang orientiere ich mich an drei persönlichen Erinnerungen an die Zeit. 1) Eine meiner Leibspeisen als Kind waren Fischstäbchen. 2) An Samstagen gingen wir oft nach Grosshöchstetten auf den Markt, wo wir am Schluss als grosse Attraktion vom Stand der Vietnamesinnen eine Frühlingsrolle kriegten. 3) Für mich sind die 80er Jahre mit Grossbritannien verbunden, da wir einige Jahre davon dort lebten. Wie fusioniert man all das zu einem zeitgenössischen und schmackhaften Hauptgang?

Erinnerung 1 und 2 werden zur Neuinterpretation des Fischstäbchens verbunden, die man «Lachsstäbchen im Sesam-Knuspermantel» nennen könnte. Dazu schneidet man Lachsfilets in ca. 2 cm breite Streifen und mariniert sie ein paar Stunden in Sojasosse und etwas geriebenem Ingwer. Dann zerbröselt man Reisblätter (die man sonst zum Umwickeln von Frühlingsrollen verwendet) und vermischt sie mit etwas schwarzem Sesam. Die Lachsstreifen zieht man erst durch ein geschlagenes Ei, dann durch die Brösel und bratet sie analog dem gemeinen Fischstäbchen. Dazu etwas süss-saure Sosse und Wasabi-Mayo servieren. Erinnerung 3 kam in Form von Erbsenmus mit Minzen, genannt Mushy Peas, auf den Teller.

Das Tiramisù auf dem Schnipsel in Grossmutters Heft scheint eine Leserzuschrift von einer Frau M. Bachmann aus Worb gewesen sein und ist wieder sehr viel weniger experimentell als der Hauptgang. Ich bereitete diesen Standard-Nachtisch allerdings zum allerersten Mal vor, da ich eigentlich kein grosser Fan davon bin, möglicherweise weil ich mir als Kind im Tessin damit mal Salmonellen eingefangen hatte – auch so ein 80er-Thema. Aber wenn mans selber macht, sitzt es ja nicht lange in der Kühlvitrine. 2 Eigelbe werden mit 50 g Zucker verrührt. 200 g Mascarpone werden beigefügt, bei dem im eingeklebten Zeitungsausschnitt als Erklärung «Käse» steht. Man fragt sich, wie viele süsse Gruyère-Eierspeisen damals mangels des Originals die Küche verliessen. Weiter werden die Schalen von einer halben Zitrone und einer halben Orange und 2 steifgeschlagene Eiweisse daruntergehoben. Mit Löffelbiskuits legt man den Boden einer ca. 12 x 24 cm grossen Gratinform aus und beträufelt sie mit starkem Kaffee und einem Schnaps nach Wahl (geeignet sind Liköre, Cognac, Rum…). Darauf wird die Hälfte der Mascarpone-Masse verteilt, dann nochmals Löffelbiskuits, nochmals beträufeln, nochmals Masse. Zum Schluss mit Kakaopulver bestreuen und mindestens eine Stunde kühlstellen.

Dazu wurden Capri-Sonne und Passaia serviert (Gluglu war partout nicht mehr aufzutreiben) und so wurde daraus doch ein ganz leckeres Dinner fern vom prophezeiten «Igitt» – vom Toast Hawaii einmal abgesehen.

Nicolette Kretz

Nicolette Kretz ist in Bern geboren, kehrte nach einigen Abstechern immer wieder hierhin zurück, arbeitet als Festivalleiterin und Autorin und kocht für den «Hauptstädter» Rezepte aus den Notizheften ihrer Grossmutter nach.


Publiziert am 9. Januar 2013

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