schliessen

Berner Christenrock: Füllen Sie die Lücken aus

Der Schweizer Song für den Eurovision Song Contest kommt zwar ohne Jahwe und Jesus im Refrain aus, doch Experten erkennen das Tonwerk als Vertreter seiner Gattung: dem Christenrock. Damit hat die Berner Heilsarmee-Band die Lizenz, ihre Musikmission nach Malmö zu tragen.

Am Ende kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass bei der Heilsarmee-Band höhere Mächte im Spiel sind. Zum einen waren da die Pauke und der Bass. Die wurden am Samstagabend auf der Bühne der Schweizer Entscheidungsshow zum Eurovision Song Contest in der Bodenseearena zwar eifrig gespielt, doch so sehr man sich auch anstrengte: Auf der Tonspur von «You and Me» sind keinerlei Pauke und Kontrabass zu hören.

Das grösste Wunder ereignete sich dann aber zum Ende der Show, als bekanntgegeben wurde, wer nächsten Mai an den Eurovision Song Contest fahren darf: Es ist die Berner Castingband der christlichen Freikirchen-Organisation Heilsarmee.

In den Magazinen «Reformierte Presse», «Reformiert» und online auf «jesus.ch» war schon vorab frohlockt worden: Die Soldaten der Heilsarmee machen sich auf, um der Eurovision-Song-Contest-Gemeinde zu zeigen, dass es noch anders geht. Der Sieg der düsteren Mittelerdebewohner Lordi 2006 mit dem Tonwerk «Hard Rock Halleluja» sitzt manchen offenbar noch immer etwas in den Knochen.

Dabei ist «You and Me» aus der Zürcher Hitschmiede Hitmill (Coop-Bio-Song) auf den ersten Hinhörer einfach ein weiteres Lied, der mit einem zum grössten Teil aus langgezogenen Vokalen bestehenden Refrain zielsicher das Radio-Airplay ansteuert. Auf Missionaren-Rhetorik wurde vordergründig verzichtet. Im Refrain heist es geradezu weltlich: «Aaahhh, Let it hear from near and far / This is how it’s meant to be / We’re together you and me. Nothing can tear us apart / sailing on a stormy sea / we’re together you and me».

Es braucht schon geschultere Ohren, um diesen Code zu entschlüsseln. Die «Reformierte Presse» hat Fachverständige im Vorfeld zu den Chancen des Songs befragt und fand folgendes heraus: Ihm gefalle der «mehrdeutige Text», gab der reformierte Pfarrer Simon Jenny aus Huttwil zu Protokoll. Und der Luzerner Pfarrer, Kirchen- und Populärkirchenmusiker Christoph Thiel lobte etwas verquast: «Dem Text mit seiner tragfähigen Botschaft gelingt es, paulinisch gesagt, nicht von Gott zu reden, als redete man doch von ihm. Wir sind nämlich mit ‚du und ich’ gemeint. (…) der Song hätte jedenfalls die Kraft, Jugendgottesdienste zu erobern oder gar Fussballstadien zu befrieden». Oder ein Millionenpublikum vor den Fersehempfängern?

Der Code der impliziten Musikmission geht ganz einfach: «You» steht für Gott oder Jesus, «I» für den Sünder. Diese Musik zu hören ist wie Lückentexte auszufüllen. Das gibt es im Rock, im Balladenpop und im Death Metal nachzuhören. Bloss im Rap etwas weniger häufig, dort hat man es auch in dieser Hinsicht gern explizit.

Normalerweise suchen sich die Rezipienten der Christenmusik ihre Inhalte eigenmächtig aus. Muss man es jetzt bedenklich finden, dass eine christliche Organisation die Lizenz erhält, ihre Musikmission auf die Bühne des Multiplikators Eurovision Song Contest zu tragen? Könnte man, muss man aber nicht.

«You and Me» hat einen friedvollen Inhalt, er bevormundet nicht, diskriminiert nicht, und am Ende liegt die Bedeutung noch immer in den Ohren des Zuhörers, der den Song auch als Liebeslied auffassen kann, wenn er will.

Wettbewerbstechnisch ist es allerdings halbwegs prekär: Als europaweite Institution hat die Heilsarmee einen Vorteil. Richtig mobilisiert haben die Mitglieder und Sympathisanten der Salvation Army allemal die Macht, «You and Me» aufs Treppchen zu lupfen.

Es wäre dann verbrieft: Es sind höhere Mächte vonnöten, um die Schweiz vom Loserimage beim ESC zu befreien.

Hanna Jordi

Hanna Jordi lebt in Bern seit 1985. Etwas anderes hat sich bislang nicht aufgedrängt.


Publiziert am 17. Dezember 2012

4 Kommentare

Alle Kommentare zeigen

Verbleibende Anzahl Zeichen:

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.