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  • Hommage an die Vergangenheit: Das Sous Sol im Bahnhof. (Bild: Martin Erdmann)

  • Diesen Ort nehmen Bernerinnen und Berner nur beiläufig wahr. (Bild: Martin Erdmann)

  • Im Innern: Aufgereihte Flüssigwürze.

Gnagi to go

Riz Casimir, Flüssigwürze und beige Windbreaker: Die Café-Bar Sous-Sol ist eine einzige Hommage an die Vergangenheit. Da passt es, dass der verblichene Club «Sous Soul» als Eiskreation im Menu auftaucht.

An den Nebentischen warten Bern-Mobil-Chauffeure auf den Schichtbeginn, Rentner in beigen Windbreakern lesen Gazetten aus dem gut ausgestatteten Zeitungshalter. Friedlich ist es hier. Die einzige Bewegung findet jenseits der Fensterfront statt, wo die Pendler ihr Tagwerk verrichten. So anonym kam man sich noch selten vor inmitten der Innenstadt, und sollte man einmal Hehlergeschäfte abschliessen oder eine Beziehung auf neutralem Terrain beenden wollen, das Lokal wäre wie geschaffen dafür.

Freilich wissen das die meisten Bernerinnen und Berner nicht, da sie diesen Ort nur beiläufig wahrnehmen: Sie nehmen ihn wahr und laufen dann vorbei. Ausser natürlich, sie beherzigen die Restauranttipps der offiziellen Stadthomepage bern.ch. Dort legt die Stadt dem geneigten Surfer jene Lokale ans Herz, die sie selbst verpachtet. Das bedeutet für die Innenstadt: Klötzli- und Kornhauskeller, Restaurant Christoffel (†2011) und das Lokal mit dem Doppelbindestrich – die Café-Bar Sous-Sol. Dort, in der Passage zum Aufgang Neuengasse, wo noch geraucht werden darf an den Aussentischen. Wo die Pensionäre Passanten beobachten und Gipfeli in den Kaffee tunken. Soviel ist zumindest von aussen zu erfahren.

Doch das Lokal hat auch ein Innenleben, und dieses gilt es heute zu erkunden. Die Kunstblumen auf der Theke und die lackierten Holztische legen einem Carac und Kaffee ans Herz, die spickelförmige Bar mit den Hockern dagegen eher das erste Herrgöttli des Tages. Es riecht nach Gulaschsuppe und Bratensauce, und zeigte die lokalseigene Bahnhofsuhr nicht erst zehn Uhr morgens an, man wäre versucht, den Elektrolytenhaushalt in Ordnung zu bringen. Riz Casimir gibt es erst am Samstag wieder, der Coupe «Sous Soul» dagegen (Vanille-, Erdbeer- und Pistacheeis mit Früchten à 10 Franken) liesse sich jederzeit bestellen. Ob die Kreation eine Hommage ist an den verblichenen Beinahe-Namensvetter in der Altstadt oder lediglich ein Versehen der Grafiker, bleibt ein Geheimnis.

Um elf Uhr kann ich nicht mehr an mich halten und bestelle aus einer nostalgischen Regung heraus Erbssuppe mit Gnagi. Als Vorbote steht bereits die Flüssigwürze auf dem Tisch, sie enthält «aufgeschlossenes Pflanzeneiweiss» und «Citronensäure» mit C, und es wird mir endgültig einstig ums Herz.

Beim ersten Bissen der gallertigen Gnagistücke erinnere ich mich allerdings wieder daran, dass ich das Gericht schon als Kind nicht besonders mochte. Der liebenswürdige Kellner gibt sich ehrlich besorgt, als er die Rechnung aushändigt und die Suppe kaum halb ausgelöffelt ist. Mit dem Rückgeld überreicht er mir daher einen papiernen Take-Away-Becher, Maestro Lorenzo to go, aber randvoll gefüllt mit Erbssuppe. «Für später», sagt er. Noch nie kam der Kaffeebecher, dieses Accessoire städtischer Work-Life-Jongleure, so wunderbar rustikal daher.

Hanna Jordi

Hanna Jordi lebt in Bern seit 1985. Etwas anderes hat sich bislang nicht aufgedrängt.


Publiziert am 12. September 2012

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