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Der Schein trügt

Wir haben ein weiteres Mal die Lichtshow auf dem Bundesplatz besucht. Es war nicht so gut.

Wer dem «Hauptstädter» aus unerfindlichen Gründen seit Anfangstagen die Treue hält, weiss, dass dieser Blog primär dazu da ist, um sich über die Lichtshow auf dem Bundesplatz zu enervieren. Falls Sie neu dazugestossen sind – wir fassen die verflossenen Jahrgänge kurz zusammen: 2012 sorgte dafür, dass für uns Kultur als Begriff nur noch eine Worthülse ist, 2013 fühlte sich an wie ein Semester an der Rudolf-Steiner-Schule, 2014 war unsere Netzhaut noch zu geschwächt, um sich das schon wieder anzutun, und 2015 hat aus uns Menschen gemacht, die den Wunsch hegen, geschützte Bergblumen zu zertrampeln.

Wollen wir uns nun aber der diesjährigen Darbietung widmen. Entgegen der Empfehlung des «Hauptstädters», Ihrem Gute-Laune-Blog, haben sich am Samstagabend genug Leute auf dem Bundesplatz eingefunden, um zahlenmässig einen nationalsozialistischen Liederabend im Toggenburg konkurrenzieren zu können. Inhaltlich ist der Anlass natürlich anderer Natur. Zwar gibt es auf dem Bundesplatz ebenfalls Kreuze en masse zu sehen, diese haben jedoch keine Haken dran. Es geht hauptsächlich um die Schweiz und das Rote Kreuz. Dennoch gibt es politische Unkorrektheiten. Die Lichtshow leuchtet unter dem Titel «Tutti Fratelli». Ist es nicht etwas ungeschickt, mitten im #SchweizerAufschrei zur Brüderlichkeit aufzurufen? Natürlich bezieht sich der Titel auf die bekannte Losung der Schlacht von Solferino, dem Geburtsort des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). Doch das zeigt, dass sich, seitdem die Chauvis von der Französischen Revolution zur Fraternité aufgerufen haben, an Formulierungen von historisch bedeutsamen Schlagwörtern nicht viel verändert hat. Bei so viel Brüderlichkeit spürt man ja förmlich Tschäppäts kollegiale Hand den Oberschenkel hinaufwandern.

Bevor wir nun aber zum eigentlichen Zerriss des Dargebotenen kommen, müssen wir anfügen, dass die hier vorzufindende Wortwahl etwas gnädiger ausgefallen wäre, hätte der Bundesplatz-Besuch nicht an einem Samstagabend stattgefunden. Denn am Samstagabend kommt der Pöbel, was zur Folge hat, dass die Anstehzeit vor den Verpflegungsständen wächst. Daher blieb vor Showbeginn keine Zeit mehr, sich mit genug Bier einzudecken, um in den folgenden 20 Minuten wenigstens einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen zu können. So sollte sich das Kommende zu einer grausam trockenen Darbietung entfalten.

Wenn Sie jetzt bereits dabei sind, einen erbosten Kommentar unter diesen Artikel zu setzen, gehören Sie wohl zu jenen Zuschauern, die sich vom farbenfrohen Treiben auf der Bundeshausfassade immer noch blenden lassen. Wir haben das längst hinter uns und richten unseren Kennerblick auf Qualitätskriterien wie Storytelling oder künstlerische Gestaltung. Und da gibt es einiges zu bemängeln. Henry Dunant hat zwar mit der Gründung des Roten Kreuzes unzählige Leben gerettet, den Friedensnobelpreis eingesackt und die Welt zu einem besseren Ort gemacht. Hätte er aber dannzumal, als er durch die Schrecklichkeiten des Schlachtfelds von Solferino stapfte, geahnt, was für eine Huldigung an sein Lebenswerk 157 Jahre später auf die Bundeshausfassade projiziert werden sollte, hätte er seinen Blick abgewandt und wäre seines Weges gegangen.

Die Figuren, die über die Mauern huschen, sehen aus, als entsprängen sie der Skizzenschublade eines minderbegabten Karikaturisten aus dem präindustriellen Rumänien. Sie nehmen die Zuschauer mit auf eine Reise durch die 150-jährige SRK-Geschichte, die wirre Windungen nimmt und in gesundheitsschädlichen Farbkombinationen dargestellt werden. Nachdem wir Solferino verlassen haben und Zeugen wurden, wie ein Erdbeben Messina platt gemacht hat, erscheint die Menschlichkeit – dargestellt als ein flaschengeistartiges Wesen mit Wespentaille und verwackelten Brüsten. Sie umarmt die Welt, alle sind happy. Weil das Klischee-Barometer noch Raum nach oben hat, werden noch schnell ein paar Schweizer Tugenden wie Cervelatbraten und Käseschmelzen abgehandelt, und schon sind wir beinahe durch.

Zum Schluss werden nochmals Farbformationen über die Fassade geschickt, die dermassen an Bildschirmschoner der 90er-Jahre erinnern, dass Bill Gates wohl bald Klage einreichen wird. Ist es nun überstanden? Noch nicht. Die Folterknechte/Künstler haben sich ihre fieseste Tortur für den Schluss aufgehoben. Die letzten Projektionen werden zu den unseligen Tönen von Lou Begas «Mambo No. 5» ausgestrahlt. Ohne das nun gegoogelt zu haben, sind wir uns relativ sicher, dass in der Genfer Konvention irgendwo festgehalten wurde, dass wer den öffentlichen Raum mit diesem Song in einer Lautstärke über zehn Dezibel beschallt, sich umgehend in Den Haag zu verantworten hat.

Bis nächstes Jahr!

Martin Erdmann

Martin Erdmann


Publiziert am 24. Oktober 2016

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