
Verlorene Seele an der Esoterikmesse
Wir waren über das Wochenende an der Esoterikmesse. Ein Blick in die Zukunft kostete, Bibel und Gebete waren gratis.
Letzte Woche erreichte uns die Schreckensmeldung, dass es im Hotel Schweizerhof spuken soll. In der Küche hätten die Töpfe und Pfannen verrückt gespielt und eine Tür liess sich plötzlich nicht mehr aufschliessen. Wer da nicht gleich an paranormale Aktivitäten denkt, ist doch von allen guten Geistern verlassen. Doch ich vermute eine viel rationalere Erklärung für die merkwürdigen Ereignisse: Letztes Wochenende gastierte die Esoterik und Naturamesse in Bern. Wäre es nicht ein genialer Marketing-Stunt, wenn die Messeleitung ein paar Tage vor der Eröffnung eine kleine Geisterstunde inszeniert, um auf andere Welten und Dimensionen aufmerksam zu machen? Ob aber in der Werbeabteilung der Messe tatsächlich solch gerissene Füchse hocken, das weiss nur Gott.
Apropos Gott: Zu diesem scheinen die meisten Aussteller der Esoterikmesse einen heissen Draht zu haben. Auch mit seinem Sohn ist man per Du. Doch von vorn: Der Ausstellerraum ist eine Art Badewanne der positiven Gefühle. Der Geruch von aromastarken Kerzen nimmt die Luft in Beschlag, dazu rauscht beruhigende Musik zwischen den Ständen hindurch. Diese Mischung sorgt für sofortige Benommenheit. Ich trotte durch die Halle und treffe auf einen jungen Asiaten, Typ Turnlehrer. Er spricht englisch und will mir eine Massage «mongolian style» verpassen. Mehr ungefragt als aufgefordert hat er die Hände bereits an meinen Schultern und fängt an herumzudrücken. Das schmerzt alles ein wenig, deshalb verzichte ich auf die kostenpflichtige mongolische Vollbehandlung.
Ein paar Stände weiter werde ich gefragt, ob ich eine persönliche Karte haben will. Da mir meine erste Standerfahrung immer noch im Nacken sitzt, bin ich skeptisch. Doch grundlos. Alles völlig harmlos. Ich darf unterschiedlich gefärbten Bienenwachs auswählen, der von einer Frau mit einem Glätteisen auf eine Kartonkarte verteilt wird. Das Resultat erinnert an Batik-T-Shirts und soll mir irgendwie behilflich sein, meinen Weg zu Jesus zu finden, wie mir ein Mann erklärt. Kurz darauf bietet er an, für mich zu beten. Als Konfessionsloser ohne Erfahrung mit religiösen Ritualen weiss ich nicht genau, wie ich darauf reagieren soll. Ich bedanke mich für die farbige Karte und ziehe weiter.
Was auffällt: Die Klassiker wie Kartenlegen oder Handlesen kosten. Und das nicht zu knapp. Das billigste Angebot liegt bei 20 Franken. Dabei wird aber nicht direkt aus der Hand gelesen, sondern man legt sie auf einen Scanner, der einem dann die Essenz des Lebens verrät. Wer aber Maschinen nicht vertraut, muss bis zu 200 Franken pro Session hinblättern. Beide Varianten sind mir zu teuer. Der Mann mit dem Handscanner hat Erbarmen und schenkt mir immerhin einen Stein für die Liebe. Kaum eine halbe Stunde später fragt er, ob der Stein gewirkt hat. Nein. Jedoch weiss ich nicht, ob die Macht des Steins zu gering oder die Esoterikmesse einfach kein guter Ort ist, um sich zu verlieben.
Was haben John Travolta, Britney Spears, Dieter Bohlen, Arabella Kiesbauer und H.P. Baxxter gemeinsam? Sie alle sind Patienten von Heiler und Schlankmacher Mirko Kaczenski. Das versichert er zumindest. Als Beweis liegen Fotos der Stars auf seinem Tisch. Das Bild von Travolta scheint sogar persönlich unterschrieben zu sein. Ich überlege mir, für 200 Franken eine Seherin zu engagieren, die mir verrät, ob das Autogramm auch echt ist. An anderen Ständen wird mir versichert, dass ich lediglich 14 Pflanzen brauche, um glücklich zu sein oder dass es von mir verschiedene Versionen gibt, die in Parallelwelten leben. Die Esoterikmesse hat sogar ein eigenes «Tanz dich frei». Dabei geht es aber weniger um Nachtleben als um die Verankerung des Lichtkörperprozesses.
Und dann wird gebetet, was das Zeug hält. Gleich an zwei Ständen erwischt es mich. Das erste Mal bekomme ich sogar noch eine Bibel geschenkt, auf derer letzten Seite ich mich per Unterschrift als Sünder bekennen und mich entschliessen kann, Jesus Christus als meinen Erretter anzunehmen. Obendrauf gibt es ein Buch von einem Wilhelm Busch. Doch darin geht es nicht um Max und Moritz, sondern um Jesus, der unsere Chance sei. Dann senken die drei Standbetreiber ihre Köpfe und beten für mich. Ausgerechnet bei den farbigen Karten von Beginn meines Rundgangs wird mir ein weiteres Mal abgepasst, um für mich zu beten. Nach dem Amen werde ich sogar noch umarmt. Diese Esoteriker scheinen sich ernsthafte Sorgen um meine Seele zu machen.
Mein persönliches Highlight finde ich in der hintersten Ecke der Messehalle. Dort steht der mit Abstand kleinste und vor allem schlichteste Stand. Er fällt mir nur deswegen auf, weil der Standbetreuer mich fragt, ob ich eine Brille habe. Habe ich nicht, deswegen kaufe ich auch keinen Glasreiniger, den er mir anbietet. Richtig: Der Mann verkauft einfach völlig normalen Glasreiniger! Er versichert mir sogar, dass sein Produkt nichts mit Esoterik am Hut hat. Er gehe halt einfach immer an solche Messen, weil man da «wie irre» verkaufe.
3 Kommentare
Verbleibende Anzahl Zeichen:
Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.