
Die mediale Gurkenzeit
Die Sommerferienzeit in Bern ist von Ereignislosigkeit geprägt. Schon im 19. Jahrhundert entwickelte die Medienwelt originelle Strategien damit umzugehen.
Eigentlich grossartig, dieses Sommerloch. Es zeigt, wie unwichtig die ganze Betriebsamkeit ist, die die Menschheit seit jeher umtreibt. Politik und Wirtschaft liegen am Strand und das Leben geht trotzdem weiter. Doch die untätigkeitsbedingte Leere verlangt danach, medial gefüllt zu werden.
So kann es passieren, dass die Bierdusche des Erich Hess zu einem viralen Grossereignis wird.
Auch in diesen schweren Zeiten können Sie sich auf Ihre «Hauptstädter»-Redaktion verlassen – und dabei nicht nur auf das kulinarische Gespür und die Trinkfestigkeit der Redaktionsmitglieder, sondern auch auf deren historische Fähigkeiten zählen.
Denn die Berner Geschichte kennt das Phänomen des Sommerlochs – genauso wie die Tendenz, dieses mit ausführlicher Berichterstattung über exzentrische Tiere und fehlbare Artgenossen zu füllen. Zeugnis davon ist das «Berner Intelligenzblatt» – im 19. Jahrhundert die wichtigste Publikation in der Stadt Bern.
Hier ein paar ausgewählte historische Einblicke in die mediale Gurkenzeit:
1. Im August 1835 berichtete das «Berner Intelligenzblatt», dass im Jahre 1763 in Südamerika ein Spanier im Alter von 144 Jahren, 8 Monaten und 5 Tagen gestorben sei. Der Mann habe 800 Kinder, Enkel, Urenkel, Ururenkel und Urururenkel hinterlassen.
2. Im August desselben Jahres fand die Zeitung auch Grund, sich über den Dilettantismus ausländischer Zeitungen und über «Sprache und Geist» in anderen Publikationen zu belustigen. So wurde darüber gelästert, dass Personen die «kaum Stammeln gelernt haben» die «unbedeutendsten Dinge vors Publikum» bringen. Thema waren auch die schwerwiegenden «geographischen Schnitzer» der Preussischen Staatszeitung. Denn in dieser unterlagen die Vasallen der Preussischen Regierung – oh, wie naiv! Welch eklatanter Mangel an Bildung! – der irrigen Annahme, der Herzog von Orleans habe den «Rigiberg» bestiegen (statt das «Dorfe Riggisberg» durchreist!!!).
3. Als beliebter Sommerlochfüller diente auch das Wohlergehen der Elite. So verursachten die Berichte über den Verlauf der Genesung von König Eduard VII im Sommer 1902 in manchen Gemütern eine «begreifliche Besorgnis»; auch ein «Magenunfall» von Premierminister Chamberlain gab zu reden.
4. In diesem Zusammenhang gibt es auch Dinge, die sich wohl nie ändern werden: Mit konstanter Beharrlichkeit wird in der Sommersaison schon seit jeher über das Schwingen berichtet. 1883 wurde die Berner Bevölkerung gar dazu aufgefordert, «durch einfache Dekoration der Häuser ihrer Sympathie für das nationale Fest Ausdruck zu geben». Der sägemehlige Hoselupf ist auch heute noch ein exzellentes Mittel zur Überbrückung der Sommerloch-Ratlosigkeit.
5. Eine weitere Sommerloch-Parallele ist das Klagen über Sachbeschädigungen nach dem Nationalfeiertag der Schweizerischen Eidgenossenschaft. So wurde im Jahr 1903 über schwere Kollateralschäden der «Festseuche» geklagt. Ähnlich im August 2016:
6. Das eigentlich Tolle am Sommerloch ist die Langeweile. Denn nur der Müssiggang erlaubt Kreativität – das wusste schon Albert Einstein. Und sogar die Punkband «Die Ärzte» wird aus Langeweile dazu getrieben, sich die «alten Fragen» zu stellen: «Wo komm ich her, wo geh ich hin und viel Zeit werd ich noch haben?» Dieses Phänomen war dem sommerlochgeplagten «Berner Intelligenzblatt» vertraut. So hat sich die Zeitung im Sommer des Jahres 1901 auch philosophische Gedanken gemacht, nämlich:
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