
Der grosse Aperitif-Check (2)
Bellevue Bar, Negroni. Stimmung: Ok.
Zu diesem Thema sollte an dieser Stelle eigentlich ein Gastbeitrag von Erich Hess erscheinen. Doch leider hatte er keine Zeit, weil zu beschäftigt war, den Nationalhymnentext auswendig zu lernen, damit er zum richtigen Zeitpunkt das Festzelt der Bundesfeier der Stadt Bern verlassen kann.
Doch sorgen Sie sich nicht. Der «Hauptstädter» ist wie dieser räudige Sommer – er lässt Sie nicht auf dem Trockenen sitzen. So gibt es auch heute wieder unverblümte Trinkerei im Deckmantel der Milieustudie. Nachdem sich «Hauptstädter»-Testtrinker Erdmann in der letzten Folge über den Whiskey Sour in der Schweizerhof-Bar mokiert hat, setzt er sich am Nationalfeiertag auf die Terrasse der Bellevue-Bar. Sehen wir uns um, wer es ihm gleichtat. Da gibt es einiges zu glotzen: Teure Brillengestelle, 100-Franken-Haarschnitte, Polohemden mit Logos so gross wie ein Neugeborenes, dicke Männer mit schönen Frauen und Armbanduhren, deren Zifferblätter vom selben Durchmesser sind, wie das Negroni-Glas, das Testtrinker Erdmann in gratulationswürdiger Zeit vor sich findet.
Doch bevor wir über Schnaps reden, wollen wir uns einer gesellschaftlichen Fragen widmen, die Testtrinker Erdmann seit dem Betreten der Bellevue-Terrasse beschäftigt. Ab welcher Tageszeit ist der Aperitif ok? In den Gläsern der Bellevue-Besucher befindet sich hauptsächlich Kaffee oder gar Wasser. Das obwohl es zum Zeitpunkt dieser Feststellung bereits kurz nach 16 Uhr ist. Nach Definition gilt der Aperitif als ein meist alkoholhaltiges Getränk, das vor dem Essen zum Zug kommt. «Vor dem Essen» lässt jedoch dermassen viel Raum für Interpretationen, dass der richtige Aperitif-Zeitpunkt anhand der individuellen moralischen Verkommenheit bestimmt werden sollte. Testtrinker Erdmann rät zum Leitgedanken: Aperitif ist, wenn Aperitif ist.
Nun ist aber höchste Zeit, um über Inhalte zu sprechen. Beim Negroni sind das Gin, Wermut und Campari. Die werden in gleichteiligem Verhältnis in ein vorgekühltes Glas gegossen. Dazu kommen Eiswürfel und eine Orangenscheibe oder wahlweise ein Stück von derer Schale. Weil das recht simpel ist, gibt es umso mehr Wege, um diesen Klassiker der Italienischen Aperitif-Kultur zu zerstören. Glücklicherweise werden in der Bellevue-Bar keine Experimente eingegangen. Testtrinker Erdmann attestiert seinem Negroni einen ausgewogenen Geschmack zwischen dezenter Süsse und angenehmer Bitterkeit.
Natürlich könnte Testtrinker Erdmann seinen Bericht an dieser Stelle abbrechen. Doch aus Gründen der tiefschürfenden Recherche entscheidet er sich für eine weitere Negroni-Bestellung, um zu überprüfen, ob es sich bei der ersten Runde nicht um Zufall handelte. Hier sehen Sie ein Bild des zweiten Negroni:
Unglücklicherweise hat sich in der Zwischenzeit eine diabolische Mischung bestehend aus Neureichen aus Frankreich und der Slowakei an Testtrinker Erdmanns Nebentisch niedergelassen. Auf detaillierte Beschreibungen verzichten wir und zitieren bloss die T-Shirt-Aufschrift, die sich dem Dicksten der Gruppe über die Brust spannt: «I don’t care about the crisis. I’ll go to Saint Tropez this summer.»
Die zweite Runde war übrigens genauso gut wie die erste. Testtrinker Erdmann kann Ihnen den Negroni der Bellevue-Bar nur empfehlen – am Besten zu Randzeiten oder to go.
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