schliessen

Das Karussell des Schreckens

Wir begaben uns ein weiteres Mal in den Lunapark auf der Schützenmatte. Grund: Das schwindelerregende Karussell «Star Flyer» sollte getestet werden. Testperson und Hauptstädter-Blogger Erdmann ist kein Freund der Höhe und rechnete mit dem sicheren Tod.

Ein ungebremster Fall aus zwei Meter Höhe auf den Kopf ist tödlich. Das steht so auf Wikipedia und klingt eigentlich ganz plausibel. Der «Star Flyer» misst 55 Meter. Mit diesem Wissensstand zu meinem Vorhaben tappe ich vor diesem komisch konstruierten Kettenkarussell herum, dass sich nicht nur im Kreis dreht, sondern auch in die Höhe bewegt. Meine Handflächen sondern dabei beachtlich viel Schweiss ab.

Angst ist das falsche Wort. Angst hat man davor ohne gültigen Fahrschein in eine Kontrolle zu kommen oder dass der mürrische Kellner einem in die Suppe spuckt. Mit Panik ist meine Gefühlslage angesichts des Bevorstehenden besser beschrieben. Und das mit gutem Grund. Denn ich bin der fester Überzeugung, dass der Mensch auf den Boden gehört. Etliche Jahre Evolution geben mir dabei recht. Schon nur deshalb ist das Mitfahren auf dem «Star Flyer» streng genommen ein despektierlicher Akt gegen die Natur.

Ein «Bier vom Fass» wäre jetzt das Richtige. Für den Mut. Doch ich lasse es. Denn um genug Draufgänger zu werden, um dem Tod, der mir da oben ziemlich sicher irgendwo auflauern wird, ins Gesicht zu lachen, bräuchte ich wohl so viel Bier wie der gigantische Becher fasst, der auf dem Dach des Bierstands steht. Dazu reicht das Geld nicht.

Mit letzter Willenskraft schiebe ich die schweissverklebte Zwanzigernote ins Kassenhäuschen. Ich bekomme irgendetwas zurück. Weiss nicht wie viel. Egal. Was haben materielle Dinge schon für eine Bedeutung, wenn das Leben nur noch an einem seidenen Faden hängt. Ok, zugegebenermassen sind die Fäden, an denen die Karussellsitze befestigt sind aus Eisen und eigentlich mehr Ketten als Fäden. Mein vollstes Vertrauen geniessen sie trotzdem nicht.

Quälendes Warten. Mich langsam mit meinem Schicksal abgefunden, schaukle ich immer noch in einer Höhe herum, in der ich mit den Fussspitzen den sich so wohl anfühlenden festen Boden berühren kann. Es läuft der dritte Micheal Jackson-Song hintereinander. Vielleicht ist das was mich dort oben erwartet nicht einmal so schlecht.

Die Sitze steigen in die Höhe. Es braucht einiges an Selbstbeherrschung, dass mein Mageninhalt es ihnen nicht gleichtut. Die Entfernung zum Boden nimmt beträchtlich zu. Ein besorgter Blick nach oben zeigt, dass noch reichlich Platz für den Aufstieg bleibt. Als wäre das nicht schlimm genug, fängt das Karussell nun auch an zu rotieren. Immer schneller, immer höher.

Ich rechne jede Sekunde damit, dass sich mein Sitz vom Karussell losreisst und ich über die Eisenbahngleise direkt durch das Dach der Reitschule geschleudert werde. Vielleicht wäre ich lieber bei Nacht gekommen. Im Dunkeln sind weniger Dinge zu sehen, in die man reinkrachen könnte. Doch die Finsternis könnte ebenfalls eine allfällige Bergungsaktion meines eventuell noch ein wenig lebensfähigen Körpers aus dem Dachgewölbe der Reitschule erschweren.

Mit solchen Gedanken drehe ich also meine Runden. Plötzlich ist der ganze Spuk vorbei. Die Sitze senken sich, der rettende Boden rückt näher. Dieses Meisterwerk der Mechanik lässt mich tatsächlich nochmals mit dem Leben davonkommen.

Martin Erdmann

Martin Erdmann


Publiziert am 23. November 2012

10 Kommentare

Alle Kommentare zeigen

Verbleibende Anzahl Zeichen:

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.