
Wy, Wattepads, Postiten
Zettel Nummer 71, Bern. Gefunden am 21.04.2014, um 21:35 Uhr am Tavelweg.
In der Schweiz dauert alles ein bisschen länger. Im Zug steht man vor den Zwischentüren und wartet, bis sie sich gnädig auftun, an der Kasse wartet man, bis die Kassiererin die Ware im Tempo einer Grenzdebilen über den Scanner zieht, dann wartet man, bis sie den ganzen Schmonz zusammenrechnet und bis sie das Rückgeld herausgegeben hat und sich auf 20 Arten bedankt und verabschiedet hat. Das sieht dann so aus:
«Grüessech!» (sehr freundlich. Sehr, sehr freundlich). Man erwidert den Gruss, stellt sich als effizient denkender Mensch ans Ende des Wareneinschubauffangbereichs und wartet auf die Einkäufe, die man einpackt, damit nach dem Bezahlen die Bahn frei ist für den nächsten Kunden. In anderen Ländern entsteht dabei ein kleiner, lustiger Wettstreit: Wer ist schneller, die Kassiererin mit Scannen und Wareschieben oder der Kunde mit Einpacken? Hier ist solcherlei undenkbar. Nachdem die Wattepads, der Koriander, das Gmües, das Poulet, die Würschtli, das Fleisch, das Chili, die Speckwürfeli, der Wy, die Burgersteintabletten und auch die Postiten wohlbehalten in der Tüte bzw. dem «Sack» gelandet sind, nennt die Kassiererin den Preis und sagt: «Wädirweitsoeguetsi», was so viel heisst wie «wenn Sie die Güte hätten» und in einem devoten, fast beschämt über die eigene Unverschämtheit, Geld zu verlangen, klingenden Ton vorgetragen wird. Normalerweise würde spätestens jetzt ein knapper Austausch von Barem stattfinden, der eventuell mit «Danke» und «Bitte» und im Maximalfall mit einem Abschiedsgruss beendet wird, aber hier frönt man dem Geldübergaberitual ausgiebiger. Der Kunde reicht den schnöden Mammon hinüber, und von der anderen Seite wird diese Grosszügigkeit erst mal mit einem ergebenen «Merci viumau» quittiert, das klingt, als habe man die Person gerade vor dem Ertrinken gerettet. Während sich der oder die Kassierer(in) auf die Suche nach dem Wechselgeld macht, fragt sie oder er: «Heit dr Cumulus?», also, ob man eine Sammelkarte hat, mit der man irgendwann unnötige Dinge bekommt. Das verneinend, ist man aber noch nicht entlassen. Die nächste Frage ist, ob man Punkte sammelt, und wenn auch das negiert wird, bedankt sie sich für die Antwort. Dann reicht sie mit einem erneuten «Merci viumau» für die Bezahlung das Rückgeld und wünscht leidend «no ä schöne Dag», als wäre sie Jesus am Kreuz und würde man sich nie wiedersehen. Nachdem man auch die Annahme des Kassenzettels verweigert hat und sie das in Worte fasst («dä Zätttu bruchet Dr nid?»), kommt als Abschied von dieser gewachsenen Beziehung noch ein «Adieu» geträllert, und man darf sich auf den Heimweg machen.
Das mag nett klingen, und beim ersten Einkauf ist man auch erfreut über so viel Verbindlichkeit, aber spätestens nach dem 5. Mal fällt einem eine gewisse Gleichförmigkeit in der ganzen Freundlichkeit auf, und man merkt, dass die Floskeln genauso unpersönlich wie eintönig sind. Dann erkennt man die Sinnlosigkeit dieses Tuns und wünscht sich eine echte Berliner Schnauze. Über die kann man sich wenigstens aufrichtig ärgern, wenn sie einem «Neunachtnfuffzig» entgegenblafft und vielleicht ein unwirsches «Tschüss» hinterherschiebt, während sie schon den halben Einkauf der nächsten Grossfamilie abgescannt hat und man gerade noch die Crème fraiche vor dem Zusammenstoss mit einer 1-Liter-Tomatenpüree-Flasche retten kann.
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