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Die grosse Konsum-Woche: Verwirrt im Westside

Willkomen zur grossen Konsum-Woche. Am Donnerstag eröffnet der Mediamarkt. Bis es soweit ist, setzen wir uns mit anderen vorzüglichen Shopping-Adressen auseinander. Heute: Westside.

Jetzt verschonen Sie uns doch einmal mit Ihrer kleinkarierten Kapitalismuskritik! Schliessen Sie dieses Kapitel endlich ab, das Kapital hat gewonnen. Schauen Sie sich doch einmal um – Berner Erde scheint bester Nährboden für Grossverteiler zu sein. Jedenfalls spriessen diese hier ganz prächtig. Neustes Geschenk an die, wie Sie es wohl etwas abschätzig ausdrücken würden, Konsumgesellschaft, wird am Donnerstag in Empfang genommen. Am Bubenbergplatz eröffnet der Mediamarkt. Wenn Sie nun Lust verspüren, Ihre staubigen Dogmen hinter sich zu lassen und in die süsse Welt des Shoppings einzutauchen, dann können wir Ihnen behilflich sein. Wir haben uns in den wichtigsten Shopping-Malls umgesehen und wissen, was Sie erwarten wird. Heute: Westside.

Mögen Sie Kinder? Nicht sonderlich? Bitter! Das Westside ist voll von ihnen. Das macht Sinn. Eltern, die ihre Freizeit im Westside verbringen, shoppen gerne und wer shoppt, ist einem guten Deal nie abgeneigt und gute Deals sind meist günstig und weil Kinder, zumindest in der Herstellung, sogar gratis sind, überrascht es eben nicht, dass viele Erwachsene im Westside eines dabeihaben. Es gibt sie in verschiedensten Variationen: Manche bevorzugen es, sich auf dem Boden auszustrecken, als wüssten sie nicht, dass in Shopping-Malls dieser Platz nur für gekaute Kaugummis bestimmt ist. Manche lieben es, so abrupt wie nur möglich das Laufen zu unterlassen, so dass man sie im Idealfall von hinten über den Haufen läuft. Andere schreien einfach nur.

Die Eltern schreien manchmal auch, aber nicht in den teuren Läden. In denen sind Mütter zu beobachten, die es sich an der ladeneigenen Theke mit einer Magnumflasche Wein bequem gemacht haben, die auf den Dezi etwa so viel kostet, wie das T-Shirt aus der Kinderboutique, das gerade mit dazugehörigem Zögling wegen Kaugummi am Boden klebt. Die Mütter lässt das kalt, weil schon etwas beduselt. Inzwischen haben sie dermassen viele Deziliter verschluckt, dass das Geld dafür für eine Jahresration T-Shirts aus der Kinderboutique gereicht hätte. Die Mütter selber tragen übrigens hauptsächlich Kleider, die ihnen einige Jahre zu jung sind.

Es gibt aber auch noch andere Erwachsene. Zum Beispiel solche, die den Ausflug ins Westside als Trip in die Stadt bezeichnen. Sie haben meistens Tribal-Tattoos am Hals, sind aber sonst ganz harmlos. Na gut, die Pullis mit Aufdruck ihrer Lieblings-Alpenrockband, werden sie wohl nicht gerade in Ihren engeren Bekanntenkreis katapultieren, aber eine Freundschaft wäre sowieso sehr belastend, weil die Tribal-Hälse nach Ladenschluss ja wieder zurück nach Tägertschi oder Steffisburg müssen.

Naturgemäss sind Shopping-Malls ausgezeichnete Treffpunkte, um mit der Clique abzuhängen. Leider ist das Westside nicht sehr cliquenfreundlich gebaut. Es gibt kaum Orte, an denen genug Jugendliche zusammen kommen können, um eine Clique zu bilden. Nicht so schlimm. Die Cliquen-Oberhäupter treffen sich sowieso draussen, um die noch etwas jungfräulichen Lungen mit Qualm zu füllen. Immerhin haben manche Teenager einer der spärlichen Bänke für ein erstes Rendezvous auserkoren. Dort tauschen sie schüchterne Nettigkeiten aus, was so romantisch wirkt, dass so mancher Tierfreunde, auf dem Weg um in der gegenüberliegenden Tierhandlung Futter für den Wellensittich zu holen, über am Boden klebende Kinder fällt.

Ach ja, und dann gibt es auch noch Läden bis zum Abwinken. Wir haben uns in einen hineingewagt. Er führte Hosen, bei denen jemand Löcher in die Kniepartie geschnippelt hat. Aus den Boxen dröhnt Musik. Wahrscheinlich DJ Antoine. Na gut, für Neulinge der Shoppingwelt dürfte das ziemlich verstörend sein. Vielleicht erleiden Sie dadurch dermassen einen Rückfall, dass Sie zur Beruhigung etwas in Marx’ Werken stöbern möchten. Aber keine Angst, Sie werden der Versuchung widerstehen. Denn einen Buchladen gibt es im Westside nicht.

Martin Erdmann

Martin Erdmann


Publiziert am 23. März 2015

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