
La Vatidora
Zettel Nummer 20, Bern. Gefunden am 2.11.2013, um 11.32 Uhr in der Marktgasse.
Sie hatte wieder den Mixer benutzt. «La vatidora», wie sie ihn fast zärtlich nannte. Das war einfach nicht fair (es gab keine Küchentür). Bananen, Rüebli, Gurken, Chia-Samen, Äpfel, Mandarinen (aus der Dose), Avocado, Mandelmus, eingeweichte Leinsamen, emulgiertes Kürbiskernöl in Magerquark und Birnendicksaft. Sie hatten sich doch darauf geeinigt, dass der Mixer nur abends benutzt wird, sie ihr Frühstück dann über Nacht im Kühlschrank lagert und morgens (ruhig, ohne zu singen, das Radio anzustellen oder lautstark zu telefonieren) zu sich nimmt.
Davor hatte er es mit dem Frieden fürs Ohr (Oropax) versucht, aber selbst dann war die Vibration dieses Monstergerätes (ein Gastroback Vital 4000) in seinem an die Küche grenzenden Zimmer zu spüren.
Seine Rache war Musik in seinen Ohren, während die ihrigen nicht sehr erfreut waren (Led Zeppelin, nicht ihr Geschmack). Gerne auch zu nächtlicher Stunde, während sie gerade von der REM- in die erste Tiefschlafphase wechselte und ihre Nerven ungeschützt vor dem Angriff blanklagen. Sie war Erasmus-Studentin aus Venezuela, aber hatte sich in Bern schon sehr assimiliert, stand ihm also hinsichtlich Toleranz und diplomatischen Verständnisses in nichts nach, und so köchelte und brodelte die unterdrückte Wut über die diametralen Bedürfnisse des anderen lange vor sich hin. Eines Tages fehlte die Led-Zeppelin-CD. Er hatte ein perfektes System eingerichtet, in dem er nach Musikstilen trennte und die einzelnen Kategorien nach Alphabet sortierte. Sie war nicht auffindbar.
Dabei wären die Urgrossväter des Hardrock gerade von höchster Wichtigkeit gewesen, denn seit gut einer halben Stunde surrte und knatterte, stampfte und krachte dieser Mixer (ein Gastroback Vital…) wie eine Strassenbaumaschine und quälte sich durch weiss Gott welche Ingredienzien, um am Ende irgendein exotisch-veganes Getränk auszuspucken, dessen öder Geschmack sich für ihn analog zu dessen Nahrhaftigkeit verhielt.
Munter pfeifend kam sie aus der Küche getänzelt, klopfte an seine Tür, streckte ihm das Ergebnis entgegen und sagte: «Probirr mal.»
Er rollte innerlich die Augen, während seine Brauen erfreut in die Höhe sprangen, und bedankte sich brav. Es genügte ein Schluck, und er hätte am liebsten gleich wieder ausgespuckt, aber dem Würgereiz trotzend, lächelte er freundlich, sagte «prima» und gab ihr das Glas mit dem farblich undefinierbaren Inhalt zurück. «Si, muy sexy», gab sie zurück, «iste faste wie gute Musike, no?» Sie zwinkerte ihm zu und verschwand in der Küche, während er regungslos in seinem Zimmer stand und nicht wusste, ob er das in seinem Bewusstsein auftauchende Bild der zu Muss verarbeiteten Led-Zeppelin-CD genauer betrachten oder lieber verdrängen sollte.
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