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«Obwohl sie nicht so hübsch wie die Bernerinnen sind…»

Wir kennen ihn alle, den Mythos der schönen Bernerin. Was hat es damit auf sich? Sicher ist: Er ist viel älter, als wir alle denken.

Berner Mädchen sind die schönsten. Dieses Klischee rangiert im nationalen Stereotypen-Haushalt ganz oben. Dicht gefolgt von den arroganten Zürcherinnen. Doch wer dachte, der «Bärner Meitschi»-Mythos habe in erster Linie mit Ursi Andress’ versiertem Umgang mit dem Muschelmesser zu tun oder entspringe einer Mischung aus Züri-West-Liedgut und Marzili-Romantik, der irrt. Denn bereits im 19. Jahrhundert lassen sich Belege für die exquisite Schönheit der Hauptstadtbewohnerinnen finden. Unsere Recherchen zeigen: In einem Band mit dem Titel «Schweizer Trachten» aus dem Jahr 1822, der einem ethnologisch interessierten britischen Publikum die Schweizer Garderobe näherbringen soll, wird rege auf die äusserlichen Vorzüge der Bernerin hingewiesen.

«Obwohl sie nicht so hübsch wie die Bernerinnen sind (und flinker als die Weiber von Freiburg), haben die Bäuerinnen des Kantons Solothurn recht ähnliche Bräuche wie ihre Nachbarinnen», heisst es da etwa. Glaubt man dem Buch, ziehen Mädchen aus Bern einen Teil ihres Reizes aus ihrem Charisma: «Die Jungfer ist auf dem Heimweg vom Feld, ihr Gesicht strahlt Unschuld und Heiterkeit aus.» Weshalb? Womöglich wegen der günstigen geografischen Umstände: «Es gibt auch wahrhaftig wenige Landschaften in der Schweiz, wo der Landmann grössere Vorteile geniesst. Hier findet man die besten Weiden und die schönsten Obstgärten», heisst es.

Auch der Berner Mann ist übrigens kein Kind von Traurigkeit: «Er schaut friedlich und heiter drein, als wolle er uns zeigen, was für ein zufriedenes Leben er führt.» Achtung, Zirkelschluss: Vielleicht denkt er auch an seine schönen Genossinnen, der glückliche Berner Mann, oder zumindest an ihre Rockschösse. Denn auch da muss sich die Bernerin nicht verstecken: «Die Schürze fällt über einen blauen, mit rotem Samt verzierten Rock, der ein schlankes und wohlgeformtes Bein verhüllt.»

Über die Arroganz der Zürcherinnen ist im Bändchen übrigens nichts vermerkt. Dabei muss es sich also tatsächlich um ein reines Gerücht handeln.

Reinhardt, 1822: «A Collection of Swiss Costumes», London: Gilling.

Hanna Jordi

Hanna Jordi lebt in Bern seit 1985. Etwas anderes hat sich bislang nicht aufgedrängt.


Publiziert am 20. März 2015

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