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Fliegende Handtaschen

Zettel Nr. 148, Bern. Gefunden am 20. Dezember um 15.46 Uhr auf dem Progr-Gelände.

Fliegende Handtaschen sind in Bern ein seltenes Phänomen. Aber letzten Donnerstag, der wegen des Nebels kaum zu durchschauen war, hatte ich das Glück, einige Exemplare beobachten zu können.
Ich schlenderte gerade durch die Arkaden der Altstadt, um mir bei einer Confiserie eine Nussecke zu gönnen, als die erste Handtasche um die Ecke bog. Ein Pappschild mit der Aufschrift «Dies ist eine geteilte Tasche, Elisabeth und Li» hing an ihrem Henkel. Verdutzt blieb ich stehen und fragte mich, ob es nun endgültig mit der Normalität vorbei war oder ich nur das bedauernswerte Opfer einer genialen Werbestrategie sei, die lebensechte Konsumanreize zur Verwirrung der Sinne durch die Stadt jagt.

Gleich darauf flitzte eine abgewetzte, braune Ledertasche an mir vorbei, streifte mich fast und dass sie mich nicht anpöbelte, ich solle gefälligst nicht so doof im Weg stehen war alles. Jetzt kamen sie von überall her, die meisten jedoch aus der Richtung des Bahnhofs, (was mich zu der Frage brachte, ob es hier womöglich eine Art Handtaschen-Konferenz gab und Bern auch im subkulturellen Bereich ein diplomatisches Epizentrum bildet.) Ich wurde neugierig: wohin eilten die Getriebenen? Ich liess Nussecke Nussecke sein und folgte dem mittlerweile zu einem regelrechten Mob angewachsenen Haufen in Richtung Bärengraben. Sie waren schnell und auf der steilen Nydeggtreppe musste ich zwei Stufen auf einmal nehmen, um sie nicht zu verlieren. Ich rannte jetzt der Aare entlang Richtung Marzili und keuchend fragte ich eine fliegende Weggefährtin, was denn der Grund der Eile sei. Sie schnappte nur kurz mit ihrem goldenen Verschluss und zeigte mir die kalte …äh… Rückseite oder was sie da hatte.

Mittlerweile war die ganze Strasse voll mit Handtaschen. Teurere, schwarze Gucci-Modelle gesellten sich zu den stereotypen Louis Vuittons und Michael Kors und während etwas abseits einige ältere Etienne-Aigners in angeregter Unterhaltung mit den Coco-Chanels flanierten, sauste ein lustiger, bunter Haufen aus abgewetzten Kunstledertaschen, ökologisch nachhaltigen Recyclingmodellen, Kinderstofftäschchen und anderen Beuteln klappernd und lärmend an mir vorbei.

Ich rannte, bis mich ein ekelhaftes und immer stärker werdendes Seitenstechen zum Anhalten zwang. Ich schrie sie an, die Nachzügler, mit erstickter Stimme, wohin sie denn um Gottes Willen wollten, was ihr Auftrag sei und woher sie überhaupt kamen. Nichts, keine Antwort. Nur ein paar Passanten, die mich befremdlich musterten, flüsterten Unverständliches. Mittlerweile war auch die letzte Handtasche hinter dem von Nebelschwaden durchbrochenen Horizont verschwunden und traurig drehte ich mich um. Ob man mir helfen könne, fragte einer der Umstehenden. Das hätte er mal die Handtaschen fragen können, schnauzte ich ihn an und liess ihn stehen.

Zurück in der oberen Altstadt hatte ich nicht mal mehr Lust auf ein süsses Stückchen und wollte mich gerade deprimiert auf den Heimweg begeben, als ich sie sah: eine mittelgrosse Versace die auf einer Bank stand oder sass und so provokant unschuldig vor sich hin schaute, dass die Wut in mir aufstieg. Nicht mit mir, dachte ich und schlich mich vorsichtig an, versteckte mich hinter einem Sicherungskasten und packte sie dann flugs am äh… Henkel. Ich schüttelte die Delinquentin und schrie sie an: «Wo trefft ihr euch? Was macht ihr da? Was habt ihr vor, du und deine Freundinnen?» Wie ich erwartet hatte, gab sie keine Antwort, also drückte ich sie mit aller Kraft auf den Asphalt um sie zur Aussage zu zwingen. Hinter mir gab irgendeine Frau laut kreischende Töne von sich aber ich liess mich nicht ablenken und gab dieser Tasche ein paar kräftige Ohr …äh… – jedenfalls klimperte der Inhalt wild durcheinander als mich plötzlich zwei schraubstockartige Arme packten und in die Lüfte hoben. Ich protestierte natürlich lauthals, aber meine Erklärungsversuche wurden ignoriert und unter den neugierigen Blicken der Umstehenden schleiften mich die Uniformierten tatsächlich auf die Polizeiwache. Dort sass ich dann auf einer unbequemen Holzbank, was soll man machen?

Dumpf glotzte ich vor mich hin als auf einmal eine überschminkte Mittvierzigerin in hochhackigen Schuhen hereingeführt wurde und – ich lüge nicht – an ihrem Arm hing ein schwarzglänzendes Krokodillederimitat. Ich zögerte keinen Augenblick. Mit einer schnellen Bewegung riss ich ihr das Täschchen vom Arm und flüchtete mit langen Sätzen aus der noch halb geöffneten Tür. Die Polizisten nahmen sofort die Verfolgung auf aber ich schlug ein, zwei hasenhafte Haken, hastete um ein paar Ecken und weg war ich. Zuhause angekommen verdunkelte ich die Fenster, schloss die Tür ab und schaltete meine elektronischen Kommunikationsmittel aus um ungestört zu sein. Ich stellte mich auf ein längeres Verhör ein. Jetzt sitze ich seit ein paar Tagen in meinem Wohnzimmer, das Täschchen vor mir auf dem Tisch als könnte es kein Wässerchen trüben und trotzig schweigt es vor sich hin. Das wird ein zäher Kampf, aber ich bin geduldig und habe genügend Vorräte im Haus.

Oliver Stein

Über 500 handgeschriebene Zettel hat Oliver Stein in den Strassen dieser Welt bereits gefunden. Von ihnen lässt er sich zu Geschichten hinreissen. Die Berner Texte seiner «Zettelwirtschaft» präsentiert er im «Hauptstädter».


Publiziert am 21. Januar 2015

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