schliessen

Im Hinterzimmer des Rock’n’Roll

Herbstzeit ist Konzertzeit: Dies gilt heuer auch in der grossen Schweizer Hauptstadt wieder. Was spielt sich dabei aber jeweils hinter der Bühne ab? Ein Spezialreport aus dem Backstage des altehrwürdigen Bierhübeli in Bern.

An den Backstage eines Konzertortes sind jeweils grosse Erwartungen geknüpft: Bei grossen Konzertfilmen wie der Schweizer Sendung «Musicstar» sah man die Protagonisten bei emotionalen Momenten wie der Entscheidung, ob sie weitermachen dürfen oder nicht, jeweils durch ein Labyrinth aus Gängen schreiten. Dazwischen Schminkräume, grosse Ess- und Sofabereiche und die Verheissung, dass es hier im Idealfall wohl noch zu einem grossen Feste kommen möge.

Diese Vorstellung erweist sich beim Betreten des Hinterbühnenbereichs im Berner Kulturlokal Bierhübeli als grundlegend falsch. Kalte, weitläufige Kellergewölbe sucht man hier vergebens. Stattdessen finden sich unmittelbar um die Bühne gruppiert, klein aber fein, eine Dusche, eine Toilette und zwei kleine Aufenthaltsräume.

Diese erinnern dabei in ihrer angenehmen Wärme eher an Wellness denn an ausgelassenen Feierbetrieb: Die Wände sind in angenehmes Blau und Grün getaucht, dezent beleuchtet und die Ledersitze einladend gruppiert – an Sex, Drugs und Rock ‘n’ Roll gemahnt hier wenig. Ist das wilde Tourleben eine Illusion des Konzertliebhabers?

Bierhübeli-Geschäftsführer Nando Hepp wiegt den Kopf. «Die grosse Party findet hier hinten schon selten statt», meint er. Das Tourleben sei heutzutage infolge dichter Terminkalender anstrengender geworden, den meisten Bands sei deshalb eine gute Betreuung und Erholung wichtig.

Lauscht man Hepps Ausführungen, zeigt sich das Tourleben fürwahr von seiner eher unglamourösen Seite: So treffen die meisten Bands am frühen Nachmittag im Bierhübeli ein, danach stehen der Soundcheck, das Essen und das Konzert an – und noch am selben Abend geht für die meisten von ihnen die Reise im Nightliner weiter. Zeit für ein ausschweifendes Tourleben bleibt da kaum.

Wie aber steht es um Sonderwünsche? Immerhin soll Lady Gaga, glaubt man der seriösen Zeitschrift «Bild», bei ihren Auftritten jeweils auf ein Sauerstoffzelt beharren oder Beyoncé Knowles eine Beheizung von exakt 22,2 Grad verlangen.

Auch hier scheint das Leben in Berns Kulturtempel etwas gemächlicher abzulaufen. Das Exzentrischste sei bisher ein Entsafter gewesen, um Smoothies herzustellen, meint Hepp. Oder ein Töggelikasten und ein Bügelbrett. Ansonsten finde sich oft veganes und vegetarisches Essen auf der Liste. Und das lokale Berner Bier werde jeweils sehr geschätzt.

Überhaupt scheinen, entgegen der landläufigen Meinung, die Starallüren und Extrawünsche der Bands generell abzunehmen. «Die Musiker verhalten sich grundsätzlich sehr professionell und sehen es als Job an», sagt Nando Hepp. Ausserdem gebe es oft Überraschungen im positiven Sinne, etwa Musiker, die sich mit einer Umarmung bei den Köchen bedankten oder ihnen gar Blumensträusse zukommen liessen.

Angesichts dieser gepflegten Umgangsformen kann es als Glück angesehen werden, hat Lady Gaga den Weg nach Bern noch nicht gefunden – Rock ‘n’ Roll hin oder her.

David Streit

David Streit begibt sich auf Entdeckungsreisen in seiner Heimatstadt: Hinter den verschlossenen Türen der Bundesstadt erforscht er Winkel, die der Öffentlichkeit normalerweise verborgen bleiben.


Publiziert am 10. Oktober 2014

2 Kommentare

Alle Kommentare zeigen

Verbleibende Anzahl Zeichen:

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.