Grüne Matte-Fee
Wo früher Gerber und Bootsbauer tätig waren, wird seit einem halben Jahr Gin und Absinth gebrannt. Wir haben Lars Urfer im Berner Mattequartier besucht.

BE-555 steht auf der Plakette, worüber sich so mancher Autofreak freuen dürfte. Mit dieser Nummer ist allerdings nicht ein Fahrzeug angeschrieben, sondern der Brennhafen von Lars Urfer. Dieser steht im Hinterzimmer, wo der Brennmeister gerade Gin angesetzt hat. Vorne in der Bar der alten Broncos-Loge brennt heimelig-schummriges Licht, aus den Boxen spielt Musik. Das Thermometer des Brennhafens zeigt 40 Grad.
Eine Produktion macht Urfer wöchentlich, in dieser Woche sind es zwei, da ein Event vor der Türe steht. Seit einem halben Jahr brennt Urfer hier im alten Handwerkerviertel in der Matte Absinth und Gin. «Eigentlich habe ich ja nur eine Brennerei gesucht, doch als ich diesen Ort fand, passte ich mein Konzept an. Nicht nur dem Haus, sondern auch dem Quartier», sagt Urfer. Er pflege gute Kontakte zu den Nachbarn, mache demnächst einen Abend mit Geschichten in Matte-Englisch; auch die Wirte kennt er mit Vornamen. Urfer selber ist kein Mätteler, sondern wuchs im Breitenrain auf, wo er jetzt wieder wohnt. «Ich suche aber eine Bleibe hier unten», sagt der 37-Jährige.

Hinter ihm auf dem Wandgestell steht das Buch «Rausch und Ordnung» – die Geschichte der Schweizer Alkoholpolitik. Auf dem Tisch reihen sich Flaschen mit Wacholder, Koriandersamen und Ingwer. «Die brauchen wir bei Gin-Anlässen, wenn die Leute ihre Rezeptur selber bestimmen», erklärt Urfer. Daneben stehen auch Anis, Fenchel und Wermut, die er für Absinth braucht, den zweiten Schnaps, den er hier brennt. Einen Teil des Wermuts erntet er in der alten Feuerwehr Viktoria. Urfer kramt das Handy hervor und zeigt, wie er den Rest des Wermuts aus Boveresse nach Bern gefahren hat. Beim Bauern, der ihm das Kraut verkaufte, wird Urfer während der «Fête de l’Absinthe» übernachten. «Nach der grüne Fee ist es bekanntlich nicht ratsam, zu fahren», sagt er und lacht. Vor allem nicht für ihn als ehemalige Fahrlehrer.
In der alten Rockerbar
Die alte Rockerbar an der Aare hat Urfer mit Freunden umgebaut. Ein Fumoir musste her, um den Lärm der Raucher drinnen zu behalten, und die Bar hat er verkleinert, was dem Raum viel Luft gibt. Ein 100-jähriges Klavier wartet in der Ecke auf den Einsatz, davor steht eine schwarze Chaiselongue, auf der man gerne einen der Drinks zu sich nimmt, die über der Bar angeschrieben sind. Alle enthalten ein in der Matte produziertes Umbrannt – Ethanol, das aromatisiert und noch einmal gebrannt wird. «Die Karte mit den Cocktailklassikern werden wir im Sommer anpassen und mehr wagen. Vielleicht sogar mit Aarewasser», scherzt Urfer.
Im Brennhafen herrschen nun 50 Grad. Nach einem kurzen Kontrollblick erzählt Urfer weiter. Vor neuen Experimenten wollte er zuerst Konstanz in den Betrieb bringen. Und die sei nun da: Sein Barteam besteht aus sieben Personen, und geführt wird es von Sereno Diggelmann. Was Urfer einführen will, sind Cocktailmenüs. «In den Bars fehlt die Zeit, um die Geschichte der Getränke zu erzählen. Das wollen wir hier zelebrieren», verrät er. Allerdings sei das nur in kleinen Gruppen möglich, zwei Barkeeper würden maximal zehn Gäste die Cocktails erklären und zubereiten. Auch plant Urfer ein Experiment mit den Ingwerer-Machern, im Herbst soll ein Gingwerer auf den Markt kommen.
Der studierte Industrial Designer sprudelt nur so vor Ideen, doch einige hat er bereits ad acta gelegt. Beispielsweise hätte er gerne einen Mittagsbetrieb oder einem Barbetrieb auch unter der Woche gehabt. «Das ging zeitlich nicht. Heute bin ich froh, denn so können wir uns auf das Brennen und den Barbetrieb am Wochenende konzentrieren», erklärt er. Dafür macht er Events wie Poetry-Slams oder Konzerte, wofür die Berner gemäss seinen Aussagen wieder den Weg in die Matte unter die Füsse nehmen.
65 Grad steht jetzt auf der Anzeige, Urfer schiebt einen Kübel für den Vorlauf – die ersten zwei Deziliter, die chemisch riechen – unter den Hahnen. Und trimmt die Wärme, um nicht die flüchtigen Zitronen- und Orangennoten zu verlieren. Nach dem Umbau, der Bewilligungsphase mit Einsprachen wegen Aussenbestuhlung und dem Betriebsstart habe er Ende April das erste Wochenende richtig frei gemacht. Mit dem Auto, wie sich das für einen Fahrlehrer gehört, fuhr er nach Frankreich, um auf Flohmärkten nach Trouvaillen zu suchen.
Schnapszahlen auf den Brennhäfen
Fündig wurde er, doch nicht alles ist heil nach Bern gekommen: Zwei Pontarlier-Gläser seien zu Bruch gegangen. «Sie waren aber verdächtig billig», gibt er zu. Auch die Wände in der Bar zeugen von seiner Vorliebe für Absinth: alte Werbeplakate, viele davon ebenfalls in Frankreich erstanden. Auf dem Klavier steht ein Minibrenner. «Den darf ich aber nicht benutzen, da er keine Nummer von der Alkoholverwaltung hat. Darum ist er auch so schön sauber», sagt er. Wie könnte es besser in eine Brennerei passen, tragen gleich beide seiner Brennhafen Schnapszahlen: Nebst dem Grossen mit BE-555 hat der Kleine, den er für Kurse braucht, die Nummer BE-666.
Urfers Gins und Absinths scheinen anzukommen. Bereits stehen sie im Globus, im Loeb und im Haller-Laden in den Regalen, aber auch vier Stadtberner Gastrolokale haben sie ins Sortiment aufgenommen. Zu Beginn hatte Urfer noch keine Gastropreise, doch die habe er nun eingeführt.
Gin läuft besser als Absinth
Im Brennhafen herrschen nun 70 Grad, und der Vorlauf tropft aus dem Hahnen. «Brennen ist ein ruhiger Prozess, aber man muss präsent sein. Es reicht grad mal, um ein Eingeklemmtes zu holen», so Urfer. Nebst dem eigenen Gin mag er den Monkey 47, weil er würzig sei. Kein Wunder, denn dieser Gin hat 47 Zutaten drin. Den Gin-Hype erklärt er sich wie folgt: «Mit den neuen Gins kann man ganz tolle Kombinationen machen und damit spielen.» Deshalb möge er auch den Gin Basil Smash, in dem der Basilikum schön zur Geltung komme. Von seinen beiden selber gebrannten laufe der Gin besser, weil nicht alle den Anisgeschmack des Absinths mögen.
Nicht nur sein Flascheninhalt ist aus Bern: Die Etikette der Flaschen wurde in der Matte kreiert, und neu verkauft er Kistchen, die in der alten Feuerwehr Viktoria beschriftet wurden, mit einer Flasche Gin und dem Tom’s Tonic, das ebenfalls in Bern entstanden ist. Auch im Barmenü findet man einige Berner Produkte, zum Beispiel Bier von Braukunst oder Lola Cola. Das neue alkoholfreie Lola IPA liegt auf den Harassen und wartet darauf, dass Urfer und sein Team Zeit haben, zu degustieren.
Mätteler mit Herz, Seele und Leber

Zu probieren hat Urfer nun auch hier etwas. Er nimmt ein Sample vom Mittellauf, das noch trüb ist und stärker nach Zitrone und Orange riecht, als es jedes weitere Glas tun wird. Er steckt die Nase tief ins Glas und kippt den Inhalt zurück in den Container. In fünf Stunden wird das Rinnsal verebbt sein und Urfer nach Feierabend in den Breitenrain zurückkehren. Vorläufig, denn eigentlich ist er mit Herz, Seele und Leber in der Matte daheim.
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