Wein oder nicht Wein – Pustekuchen!

Die Lebensgeister erwachen, aber, bu-huu, der Frühling trügt: Rein markttechnisch bietet er fast nichts. Die Wurzeln des Winters sind uns längst verleidet, Spargel und Erdbeeren tun nur so, als wäre Saison. Darum machen wir, hungrig vom Bummel durch den Markt, halt bei der Ernte aus der Backstube. Kuchen! In der Münstergasse bietet ein Stand Gâteau de Vully feil. Ein vorzügliches Hefeteiggebäck mit Ei, Rahm und Zucker. Nicht die beste Diät zur Marzili-Frühform. Schon gar nicht in der salzigen Version mit Speck.

Gut investierte drei Franken

Doch schliesslich knurrt der Magen. Wir entdecken am selben Stand, etwas versteckt, eine zweite Spezialität, die Tartelette au Vin cuit. Weil nicht ganz sündenfrei durchs Leben knuspernd, fühlt sich der Marktanalytiker angesprochen. Kuchen aus Wein! Ein Törtchen gibt es für drei Franken. Und für diese drei Franken wäre schätzungsweise der Wochen-Kalorienbedarf eines mittleren Mammuts abgedeckt. Köstlich.

Von wegen Wein: „Irrtum, sprach der Igel und stieg vom Kaktus“, wie dereinst der Chemielehrer zu sagen pflegte. Vin cuit ist eingedickter Birnen- und/oder Apfelsaft. In der Innerschweiz wird der „Birnenhonig“ Birnel produziert. In der Westschweiz heisst er Vin cuit. Warum, weiss, wie meist, Paul Imhof. Gemäss seinem „Kulinarischen Erbe der Schweiz“ seien die Früchte einst in Traubensaft gekocht worden.

Kein Schnaps, kein Vin cuit

Als in der ganzen Schweiz Hochstammbäume der Antialkoholpolitik zum Opfer fielen, ging es auch dem Vin cuit an den Kragen. Weil aus Äpfeln und Birnen grosse Mengen an Schnaps produziert worden war, schritt die Eidgenössische Alkoholverwaltung in den 50er-Jahren zur Tat. Fällaktionen trugen zum Niedergang der Hochstämmer bei. Bis Ende der 80er-Jahre gab es Abholzprämien. Heute werden Hochstämmer wieder gepflegt. Und auch Traditionen wie der Vin cuit leben auf.

Auch historisch gesehen ist sie also nahrhaft: Die Tartelette au Vin cuit. Spargel und Erdbeeren können warten, die Badesaison kann es auch.

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