Freudloses Essen schmeckt – okay

Geht das: Sich in einem veganen, weizen-, zucker- und alkoholfreien Restaurant den Bauch vollschlagen? Ja. Bis einen die sündige Vergangenheit einholt.

Ich bin erkältet, als ich durch Londons Osten treibe. Es giesst in diesen brutalen Bindfäden, es ist kalt und dunkel, ja die Stadt ertrinkt in Vorurteilen. Auch ich will Klischees bedienen: In London amüsiert man sich. Man isst gut, trinkt coole Drinks und schlägt überhaupt über die Stränge. Trotz triefender Nase. Im Ausgehviertel Shoreditch suche ich also die Hauptstrasse nach einem Imbiss ab, muss ja nichts Krasses sein wie der koreanische Street-Food-Laden, vor dem sich eine Zwanzigmeterschlange gebildet hat. Oder die «Princess of Shoreditch», wo man eine Belper Knolle aufgetischt bekommt und die Kronleuchter tief und bedeutungsschwanger über den schweren Holztischen hängen. Nein. Fish and Chips würden reichen.

What the fuck are they serving? (Bild: nk)

Die suche ich auf der Speisekarte des kleinen Lokals vergeblich, vor dem ich jetzt stehe, aber der Food klingt nicht schlecht, Sushi, Curry und Desserts. Gebucht, denke ich, sonst verhungere ich. Im engen Lokal werde ich an die Bar gescheucht – man sei eigentlich voll, sagt man mir, aber wenn ich mich neben das Hipster­pärchen am Fenster setze, sei das okay. Und ich noch so: Redemption, seltsamer Name. Wiedergutmachung oder Erlösung, glaube ich.

Ein jetzt genauer Blick auf die Karte verrät mir dann, von welcher Sünde ich mich loskaufen soll: meiner Völlerei, so generell wahrscheinlich. Das Restaurant Redemption serviert vegane, zuckerfreie, weizenfreie Speisen und – keinen Alkohol. Holy Shit. Oder wie es die Redemption-Schilder-Schreiber ausdrücken würden: WTF – What the fuck!

Das Redemption gibt es seit drei Jahren, das erste Lokal wurde im vornehmen Viertel Notting Hill eröffnet, dasjenige in Shoreditch ist das zweite, weitere sind geplant. Das kulinarische Bussetun ist sehr beliebt, die Restaurants sind jeden Abend ausgebucht. Wohl auch, weil das doch eher freudlose klingende Essen im Trend ist: Aubergine mit Tahini, Pilzrisotto mit Rucola und Pekannüssen, Sushi mit Grünzeug und Quinoa gefüllt.

Ich esse Apérokugeln aus vielleicht Gemüse, ich bin mir nicht sicher, dann gerösteten Blumenkohl mit Ingwer, Knoblauch und Chili. Es schmeckt und ist so scharf, dass ich denke: Die Erkältungsbugs sind hiermit abgetötet. Leider auch der Appetit auf Dessert: Zwar habe ich Lust auf den Kürbis­cake, aber ich kann nicht mehr. Ich bin voll. Zu viele Ballaststoffe, nehm ich an.

Später im Hotel öffne ich gerade ein Büchsenbier aus der Minibar, um, na ja, wirklich alle Sünden wegzuschwemmen, als ich ein Grummeln höre. «False hunger», denke ich noch so, falscher Hunger, verursacht durch zu viel Alkohol. Den ich noch gar nicht hatte, fällt mir ein. Jetzt knurrt der Bauch. Jesus! Es ist richtiger Hunger! Und ich schon auf dem Weg – zum nächsten Fish-and-Chip-Shop.

Hier kann man sich von seinen Sünden loskaufen: Redemption Bar in London (Bild: zvg).

(Redemption Bar, 320 Old Street oder 6 Chepstow Road, London)

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