Frieda ist keine Rassistin

Brigitte Mira und El Hedi Ben in Rainer Werner Fassbinders Film «Angst essen Seele auf». Foto: Alamy Stock Photo
Frieda ist die Mutter eines alten Freundes. Sie mochte schon vor Corona keine Menschen. Nun darf ich sie wieder besuchen, was ich sehr schätze. Man kann viel lernen von ihr.
Letztes Mal stand sie in der Küche am offenen Fenster und rauchte, als ich kam. Und auf dem Küchentisch lag eine Illustrierte, aufgeschlagen auf der Seite mit einem Test, der den Titel «Sind Sie rassistisch?» trug.
«Und?», fragte ich. «Bestanden?»
Frieda schüttelte den Kopf. «Sie raten mir, mich zu hinterfragen.»
Ich warf einen Blick auf den Test. Frage 1: «Jemand hat Ihnen die Geldbörse gestohlen. Wer war es? A: Die Dominikanerin aus dem 1. Stock. B: Herr Meier von nebenan. C: Das kann man nie wissen.» Frieda hatte ein viertes Feld gemacht und dazu geschrieben: «Es war vermutlich mein Enkel.»
«Du bist keine Rassistin», sagte ich.
«Natürlich ist sie eine.» In der Tür stand ihr Sohn – mein alter Freund. «Sie hat sich jetzt mit dem jungen Schwarzen vom zweiten Stock angefreundet.»
«Ja, ja», erwiderte Frieda. «Aber mit dir rede ich nicht darüber.»
Ich musste an Fassbinders Film «Angst essen Seele auf» denken. Der Film handelt von einer älteren Frau, die einen jüngeren Mann, einen Gastarbeiter aus Marokko, heiratet und damit rassistische Reaktionen im Verwandten- und Bekanntenkreis auslöst. Das Werk aus dem Jahr 1974 ist der einzige Film über Rassismus, den ich kenne, der nicht moralinsauer ist.
«Erinnert ihr euch an ‹Out of Rosenheim›?», fragte ich.
In «Out of Rosenheim» spielt Marianne Sägebrecht eine Frau aus dem bayrischen Rosenheim, die sich auf einer Reise in Kalifornien von ihrem Mann trennt. Sie landet dann mitten in der Wüste in einem schmuddeligen Motel, das eine Schwarze führt. Zwei starke Frauenfiguren. Ich erinnere mich, dass vor allem progressive Frauen den Film umwerfend fanden – und sich kein bisschen daran störten, dass die weisse Frau der schwarzen ziemlich ungeschminkt eine Lektion in Reinlichkeit erteilen musste, damit der Film in Schwung kam. Im zweiten Teil wurde das Ganze dann ziemlich kitschig.
Mein alter Freund tippte auf seinem Handy herum. «Out of Rosenheim», sagte er, «1987.»
«1987 war meine beste Zeit», sagte Frieda. «Die Kinder endlich erwachsen. Da schaute ich keine Filme.»
«Sie ist eine positive Rassistin», fuhr mein alter Freund fort. «Ist gerührt, wenn eine Frau aus Kosovo zur höchsten Luzernerin gewählt wird. Ist es nicht so?»
«Ich bin nie gerührt», erwiderte Frieda. «Ich will mich einfach nur über Farbige aufregen dürfen, wenn mir danach ist. Weil auch die mir manchmal auf den Keks gehen, nicht als Rasse, sondern als Menschen. Und vergiss die ‹Zehn kleinen Negerlein› nicht. Ich werde sie deinen Kindern schenken, sobald ich sie auf dem Estrich gefunden habe.»
«Ich warne dich», erwiderte mein alter Freund ernst. – Manchmal verstand er nicht besonders viel Spass.
Ich nahm das Brotmesser von der Ablage neben dem Spülbecken und versorgte es in einer Schublade. «Sicher ist sicher», sagte ich.
Frieda lachte.
«Als ob das zum Lachen wäre», sagte mein alter Freund.
«Positiver Rassismus», sagte Frieda, «so ein Blödsinn! Dann war auch Mutter Teresa eine Rassistin. Und all die anderen Rassisten, die ständig den Armen helfen. Zu Ende gedacht, hiesse das nämlich: Je höher das Budget für Entwicklungshilfe, desto rassistischer ist das. Und das wiederum hiesse: Am wenigsten Rassisten gibt es in den Reihen der SVP. Schon mal so rum überlegt?»
Worauf wir dastanden und mal so rum überlegten.
Der Schreibende spendet übrigens schon länger kein Geld mehr für die Entwicklungshilfe, er gibt es jetzt den Bettlern auf der Strasse. In der Regel sind das Weisse, aber das ist nicht der Grund.
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